Katharina Thoma verlegt in ihrer Neuinszenierung die gesamte Handlung von Mozarts „Don Giovanni“ in ein typisches Leipziger Altbau-Mietshaus und macht die sonst leicht verwirrende Geschichte dadurch greifbarer, nachvollziehbarer und extrem unterhaltsam.

Die Geschichte um den Frauenhelden Don Giovanni wurde seit der Uraufführung des Stückes im Jahr 1787 unzählige Male in der ganzen Welt aufgeführt. Es stellt sich also unweigerlich die Frage: Wie bringt man den Stoff so auf die Bühne, dass er für ein modernes Publikum funktioniert?
Schon zu Anfang der Ouvertüre hebt sich der Vorhang und gibt den Blick auf ein Mietshaus frei. Zur Linken hat der Zuschauer Einblick in einige Zimmer die sich auf drei Stockwerke verteilen und zu drei der fünf Wohneinheiten im Haus gehören. Wohnzimmer und Bad von Donna Anna und Don Ottavio (Olga Jelinkova und Josh Lovell), eine kleine Einzimmerwohnung mit Bad und Don Giovannis Dachgeschosswohnung. Die rechte Hälfte der Bühne nehmen Hausflur und Treppenhaus ein. Alles etwas grau, ein bisschen heruntergekommen, aber immerhin funktioniert (meistens) der Aufzug (Bühnenbild Étienne Pluss).
In diesem Umfeld sieht der Zuschauer schon während dem musikalischen Auftakt einige der Figuren aus der Geschichte ihrem Alltag nachgehen. Don Giovanni (Jonathan Michie) erwacht mit einer Frau im Bett und geht kurz darauf aus. Die Hausmeisterin – eine stumme Rolle, die der Geschichte aber einiges an Lebensechtheit einhaucht – kommt aus ihrem Kabuff unter der Treppe und beginnt Kippe rauchend den Flur zu fegen. Donna Annas Vater, der Komtur (Sebastian Pilgrim), sitzt im Wohnzimmer und liest ein Buch.
Durch die Entscheidung die gesamte Handlung auf dieses Haus zu konzentrieren, ergeben einige Handlungen plötzlich Sinn, die bei einem – wie im Libretto ursprünglich vorgesehenen – Ortswechsel eher Fragen aufwerfen. Donna Elvira, die von Don Giovanni betrogen wurde, zieht in die AirBNB Einzimmerwohnung ein und läuft ihm natürlich prompt über den Weg. Auch Zerlina und Masetto sind neue Mieter, die irgendwann mit einem Haufen Umzugshelfer durch die Tür poltern.
Immer wieder folgt man der Handlung an einer Ecke des Hauses während in der anderen Ecke währenddessen kleinere Nebenhandlungen stattfinden, was das Gefühl vom typischen Stadtleben unterstreicht.
Das Leipziger Lokalkolorit blitzt ebenfalls regelmäßig durch: So ist Leporello (Sejong Chang) zwar Don Giovannis Diener, allerdings kann er von dem Geld das ihm das einbringt anscheinend nicht leben, denn er arbeitet außerdem als Fahrradkurier für einen der bekannten Essenslieferdienste. Während der Schlussszene – nach dem Tod Don Giovannis dem das Mietshaus gehörte – tauchen plötzlich eine Maklerin und drei Anzugträger auf und nachdem zwei Geldkoffer den Besitzer gewechselt haben bekommt jede Mietpartei ein Kündigungsschreiben in die Hand gedrückt.
Die Spielfreude des gesamten Ensembles ist spürbar. Michies Don Giovanni ist ein überzeugender Drecksack, dem man sein Ableben von Herzen gönnt und seine Interaktionen mit Sejong Chang als Leporello funktionieren stimmlich wie schauspielerisch perfekt. Zerlina (Samantha Gaul) und Elvira (Kathrin Göring) haben nicht nur hervorragende Stimmen sondern auch eine großartige Bühnenpräsenz. Insgesamt macht es einfach Spaß, hier zuzuschauen, was dazu führt, dass das Gewandhausorchester immer wieder den Szenenapplaus im Saal abwarten muss (Musikalische Leitung: Jonathan Darlington).
Insgesamt ist Katharina Thomas Don Giovanni ein Don Giovanni der starken Frauen. Sei es Donna Elvira, die durch ihre Haltung und ihr Auftreten deutlichst klar macht, dass sie ihrem ehemaligen Liebhaber um Längen überlegen ist oder Zerlina, deren „Batti, batti, o bel Masetto“ hier ganz klar zur Verführungsnummer wird.
Wer einen modernen, mitreißenden und emanzipierten Don Giovanni erleben möchte, ist in der Oper Leipzig bestens versorgt.
Text: Julia Weber