Bryan Arias erfindet Antoine de Saint-Exupéris philosophisches Märchen neu und bleibt doch dem Original treu.

Ein Kinderzimmer, winzig im Schatten eines großen Planeten. Ein Junge sitzt im Schneidersitz vor einem Fernseher. So beginnt die Geschichte von „Der kleine Prinz“ in der Oper Leipzig. Kein Flugzeugabsturz in der Wüste, kein Pilot der einem seltsamen Jungen begegnet oder ihn sich vielleicht auch nur einbildet. Statt dessen ein Junge im Schlafanzug (Landon Harris), ein Fuchs und eine Schlange als Kuscheltiere, ein Bild von einem Hut (oder einem Elefanten in einer Schlange?) an der Wand, ein altmodisches Modell-Propellerflugzeug auf dem Regal, eine einzelne Rose neben dem Foto der Mutter auf dem Fernseher.
Im Mikrokosmos des Zimmers begegnet der Zuschauer dem eitlen älteren Bruder (Facundo Luqui) und dem Vater des Jungen (Carl van Godtsenhoven). Der schwelende Konflikt zwischen den Brüdern wird nur dann abgemildert wenn der Vater zugegen ist.
Aus dem Fenster schauend erspäht der Junge ein Mädchen, Rose (Madoka Ishikawa), und verliebt sich in sie. Später trifft er sie auf einem Dorffest wieder bei dem auch andere bekannte Gestalten aus dem Märchen auftauchen. Der Säufer (Pedro Luz), der Geschäftsmann (herrlich überzogen als geiziger Vermieter, Joao Ludwig) und die Raucherin (Yun Kzeong Lee) haben alle ihre Auftritte. Auch tauchen zwei Piloten (Evelina Andersson und Marcelino Libao) auf, deren Geschichten den Jungen faszinieren. Der Pas de Deux der beiden wird zum Pas de Trois. Sie schenken dem kleinen Prinzen seinen gelben Schal und wecken in ihm die Sehnsucht nach der weiten Welt, eine Szene, die sicherlich zu den Highlights des ersten Aktes gehört.
Die Figur der Rose sticht heraus. Sie fällt auf und ist in den Augen des kleinen Prinzen besonders, auch anders als die anderen Rosen. Tänzerisch wird das noch einmal besonders deutlich als er später in der Stadt einer Gruppe Mädchen begegnet, die alle seiner Rose ähneln. Zwar heben sie sich von den anderen Städtern mit ihren abgehakten Bewegungen und der grauen Kleidung ab, da ihre Szene die einzige auf Spitze getanzte Sequenz enthält, doch keine von ihnen tanzt so, wie es Rose in ihrem Solo im Dorf tat.
Als eine Busfahrerin (Ester Ferrini) ihm eine Fahrt in die große weite Welt verspricht, sieht sich der kleine Prinz hin und her gerissen zwischen seinen Gefühlen für Rose und seiner Wissbegierde. Am Ende siegt jedoch die Abenteuerlust.
Im Grau der Großstadt sticht der Prinz in seinem Outfit aus grüner Hose, grüner Jacke und gelben Schal heraus. Ein Polizist (Alessandro Repellini) wird ebenso auf ihn aufmerksam wie ein Drogendealer (Marcos Vinicius Da Silva), dessen Body rolls und schlangenartige Bewegungen am Boden deutliche Begeisterung beim Publikum hervorrufen). In den Häuserschluchten begegnet der kleine Prinz einer Migrantin (anmutig und witzig, Vivian Wang) und freundet sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten mit ihr an. Der spielerische Pas de Deux der beiden wird jedoch harsch unterbrochen als sie vom Polizisten festgenommen wird, eine erschütternde Erfahrung für den kleinen Prinzen.
Die Geschichte auf der Bühne ist anders als die Buchvorlage und doch findet man alle Aspekte in ihr wieder. Das simplistische Bühnenbild (Alain Lagarde) vermittelt durchweg das Gefühl, dass man sich in einer Traumwelt befindet, obwohl die Geschichte, die erzählt wird, eine sehr aktuelle, realitätsnahe ist. Die Musik von Helge Burggrabe, Milana Zilnik und Raph Vaughan Williams unterstützt dieses Gefühl ebenso wie die Choreographie, in der sich contemporary Elemente und klassische Einflüsse zu einem ästhetischen Ganzen fügen.
Das Stück gliedert sich in vier Teile. Vom Mikrokosmos des Kinderzimmers geht die Reise ins Dorf, von dort in die Anonymität der Großstadt und schließlich in die Weite der Wüste, wo der kleine Prinz nach all seinen Erlebnissen wieder mit seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen alleine ist.
Es ist dieser vierte Teil wo der Abend leicht schwächelt. Die Geschichte ist eigentlich auserzählt. Der kleine Junge vom Anfang ist ein Pilot geworden und in der Wüste abgestürzt – oder vielleicht ist diese gesamte Szene auch ein Teil seiner drogeninduzierten Halluzination? Im von der Decke rieselnden Sand begegnen ihm die wichtigsten Personen seines Lebens noch einmal in ihrer Märchengestalt (Kostüme: Bregje van Balen). Doch es passiert nichts, der Plot ist zu Ende, das Leben des Piloten rinnt mit dem Sand dahin. Tänzerisch und erzählerisch ist daran nichts auszusetzen doch für einige Zuschauer könnte diese Sequenz ein wenig lang erscheinen.
Insgesamt bietet „Der kleine Prinz“ einen nachdenklich machenden, tänzerisch anspruchsvollen Ballettabend.
Text: Julia Weber