Tiefschwarzer Humor – „Sweeney Todd“ in der Musikalischen Komödie Leipzig

In der frisch renovierten Musikalischen Komödie in Leipzig kann der Zuschauer aktuell Cusch Jungs Inszenierung des Sondheim-Musicals „Sweeney Todd“ erleben – mit viel historischem Charme, großartigen Stimmen und einem gehörigen Gruselfaktor.

Sweeeney Todd in "Mein Freund". Sweeney steht im Vordergrund und hält sein Barbiermesser in die Höhe, das Ensemble im Hintergrund zeigt dieselbe Geste
Foto: Tom Schulze

Die Mär von Sweeney Todd – spätestens seit dem Kinofilm von 2007 kennt die Geschichte auch in Deutschland beinahe jeder Musicalbegeisterte. Basierend auf verschiedenen Londoner Mythen tauchte der dämonische Barbier aus der Fleet Street 1846 zum ersten Mal im Groschenroman „The String of Pearls“ auf. Nach einigen Veränderungen insbesondere hinsichtlich der Beweggründe des Barbiers, der einst als Benjamin Barker ein unbescholtenes Leben führte und der nun unter dem Decknamen Sweeney Todd eine grausame Mordserie beginnt, entstand die Fassung, die wir heute kennen.

Historisch ist die Geschichte im viktorianischen London verankert, einer Zeit, in der gerade in den ärmeren Gegenden der Stadt häufig das Recht des Stärkeren galt. Jack the Ripper trieb sein Unwesen und der Gestank aus der Themse verpestete die Luft. „There is no place like London“ singt Matrose Anthony zu Beginn des Stücks, voller Begeisterung für die Stadt, doch Sweeney, dessen Bekanntschaft er an Bord gemacht hat, nimmt ihm schnell die Illusion.

Die Rückblende zu Sweeney‘s Vorleben mit seiner Frau und der kleinen Tochter kommt ohne große Effekthascherei aus. Nur Sweeney und Anthony sind auf der Bühne als er davon erzählt, wie Richter Turpin ein Auge auf Lucy Barker warf und daraufhin den Barbier für eine Tat zur Verbannung nach Australien verurteilte die dieser niemals begangen hatte.

Todd macht sich auf den Weg in die Fleet Street, sucht nach Hinweisen, was aus Lucy und seiner Tochter Joanna geworden ist und kriegt diese von Mrs Lovett, deren schlecht gehender Pastetenladen im selben Haus untergebracht ist, in dem er früher lebte. Nachdem Turpin sich an Lucy verging, besorgte diese sich vom Apotheker Gift. Die Tochter, Joanna, ist nun Turpins Mündel, inzwischen erwachsen und dem Richter ebenso ins Auge gefallen wie ihre Mutter zuvor.

Bühnen- und Kostümbild (KarinFritz) der Produktion in der Musikalischen Komödie orientieren sich stark am historischen Hintergrund, wobei die Kostüme bunt die unterschiedlichen modischen Trends des gesamten neunzehnten Jahrhunderts mit Steampunk-Einflüssen kombinieren. Die Drehbühne ermöglicht blitzschnelle Szenenwechsel zwischen Pastetenladen, Bäckerei, Sweeneys Arbeitsstätte und dem Hof vor Turpins Haus. Ein spielfreudiges Ensemble führt den Zuschauer in die Geschichte ein und etabliert zum ersten Mal das immer wiederkehrende Thema der Moritat von Sweeney Todd, mit dem die einzelnen Szenen miteinander verwoben werden. In den Massenszenen wird ebenso wie in den Quodlibets deutlich, dass der Umbau das akustische Problem der Musikalischen Komödie zwar verbessert, jedoch nicht ganz behoben hat. Hier kommt es weiterhin ab und zu dazu, dass Liedtexte nur schwer verstanden werden können wenn sie sich überlagern. Allerdings passiert dies deutlich seltener als in den der Renovierung vorangegangenen Produktionen.

Vikrant Submarian glänzt in der Titelrolle nicht nur mit Stimmbrillianz sondern auch bemerkenswerter Spielfreude. In Szenen wie „Mein Freund“, in dem Mrs Lovett ihrem neuen Mieter sein altes Barbiermesser zurückgibt und dieser daraufhin von der Rache an Turpin zu träumen beginnt, zeigen die ganze Bandbreite seiner stimmlichen und spielerischen Dynamik. Als Mrs Lovett ist ihm Sabine Töpfer spielerisch absolut ebenbürtig. Während zwischen den beiden zu Beginn des Stücks noch keine rechte Verbindung existiert, ändert sich das schlagartig im schmissigen Gassenhauer „Prälat“ in dem sie im Walzertakt ihren teuflischen Plan schmieden. Dass Mrs Lovett Sweeneys Opfer zu Pasteten verarbeiten wird, und damit nicht nur im übertragenen Sinne sondern ganz konkret dazu beiträgt, dass die Menschen sich gegenseitig auffressen, ist in seiner arm-gegen-reich Gegenüberstellung heute immer noch genauso aktuell ist wie zur Entstehungszeit der Geschichte.

Das zweite Paar neben dem Mörderpärchen Todd und Lovett sind der junge Anthony (Justus Seeger) und Todds Tochter Joanna (Anna Evans). Durch Zufall hört er sie an ihrem Fenster singen und verknallt sich Hals über Kopf in sie. Die ganze Geschichte um die Beiden wirkt stets ein wenig unglaubwürdig. Zu dem Zeitpunkt, als Anthony ihr den Vorschlag macht, sie aus London wegzubringen und zu heiraten, kennen die beiden sich kaum. Die Leipziger Inszenierung greift die Absurdität dieser Verbindung dadurch auf, dass es zwischen den beiden scheinbar Verliebten zu keiner körperlichen Nähe kommt und keines der vielen „Küss mich“ im gleichnamigen Lied den Worten auch Taten folgen lässt.

Ein Highlight des Stücks in Hinsicht auf dessen komische und satirische Seite ist stets die Szene in der Todd seinem Widersacher Turpin die erste Rasur verpasst und dabei über „Hübsche Frauen“ schwadroniert sowie die Szene in der der kleine Tobias „Pirellis Aqua Kapillare“ als Haarwuchs-Wundermittel anpreist sowie der daran anschließende Barbier-Wettstreit. Auch in der Leipziger Fassung muss man an diesen Stellen unweigerlich schmunzeln.

Michael Raschle als Turpin ist ein Ekelpaket wie es im Buche steht. Stimmlich wirken seine Passagen immer etwas nasal und gepresst, dafür ist seine schauspielerische Leistung großartig.

Ob es zusätzlich die Geißelungszene oder auch die Vergewaltigungs-Rückblende – die einzige Rückblende im gesamten Stück, das ansonsten auf solche Kniffe gekonnt verzichtet – wirklich braucht um Turpin in seiner Position als dem wahren Kriminellen des Stücks zu etablieren, darüber kann man sicherlich streiten.

Seit dem Umbau der Musikalischen Komödie spielt das hauseigene Orchester (Musikalische Leitung: Christoph- Johannes Eichhorn) hinter der Bühne. Im früheren Orchestergraben wurde eine Hebebühne installiert, von der im Stück reichlich Gebrauch gemacht wird. Etwa im Lied „an der See“ bei dem Mrs Lovett sich einen netten Urlaub mit ihrem geliebten Sweeney ausmalt.

Insgesamt ist die Leipziger Inszenierung „Sweeney Todd“ definitiv einen Besuch wert. Ein spielfreudiges und stimmgewaltiges Ensemble und ein gut gelungenes Kostüm- und Bühnenbild sorgen gemeinsam mit der vom hauseigenen Orchester live gespielten mitreißenden Musik von Sondheim für einen vergnüglich-gruseligen Ohrenschmaus.

Text: Julia Weber

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