Nachdem die deutsche Erstaufführung von “Fast Normal – Next to Normal” 2014 in Fürth großen Anklang fand, wird das Musical um eine fast normale amerikanische Familie nun im Berliner Renaissance Theater in der Inszenierung von Torsten Fischer gespielt.
Eigentlich sind sie eine ganz normale Familie. Mutter Diana (Katherine Mehrling), die nachts bis in die frühen Morgenstunden auf den umtriebigen Sohn (Dennis Hupka) wartet, Vater Dan (Guntbert Wans), der vor lauter Arbeit kaum weiß, wo ihm der Kopf steht und Tochter Nathalie (Sophia Euskirchen), die musikalisch hochbegabt ist und sich nichts mehr wünscht als Anerkennung.
Doch die Fassade bröckelt. Diana ist manisch depressiv. Sohn Gabe ist schon als Baby gestorben, lebt aber in ihrer Fantasie immer noch. In einer schlimmen Phase beschließt Dan, dass es Zeit ist ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Doch weder Dr Fine (Felix Martin) mit seinem bunten Pillenmix noch Dr Madden (ebenfalls Martin), der auf Gesprächstherapie und Elektroschocks setzt, haben die Wunderformel um Diana zu heilen.
Nathalie, aufgewachsen in einer Welt, in der sie immer nur die zweite Geige nach ihrem toten Bruder spielte, fürchtet sich in Zukunft genau wie ihre Mutter durchzudrehen und findet nur langsam ihren eigenen Weg.
All das ist sicherlich kein leichter Stoff für ein Musical. Doch tatsächlich ist zwischen dramatischen Momenten wie der Elektroschocktherapie, leisen traurigen Zwischentönen und mitreißenden Melodien sogar der eine oder andere Lacher aus dem Publikum zu hören. “Next to Normal” ist schwierig, anstrengend, aufwühlend und tragisch aber an den entscheidenden Punkten auch witzig, leicht und gefühlvoll.
Dies ist nicht zuletzt den hervorragenden Darstellern zu verdanken. Die schauspielerische Leistung aller Beteiligten ist beachtlich. Katherine Mehrling als psychisch kranke Diana schwankt zwischen Euphorie und absoluter Depression und brilliert sowohl in der Passage mit Dr Madden bei dem sie ihre komische Ader voll ausspielen darf als auch in den berührenden Szenen mit Dennis Hupka (Gabe). Von Anfang an wird die Verbindung von Mutter und Sohn hier als etwas Besonderes dargestellt und so versteht der Zuschauer schnell, warum Diana gar nicht möchte, dass diese “Wahnvorstellungen” aufhören. Guntbert Warns glaubt man jede Sekunde den verzweifelten Ehemann und besorgten Vater. Gesanglich kann er mit dem Rest der Cast nicht mithalten, macht dies jedoch durch einfühlsames Spiel wett.
Sophia Euskirchen meistert die Rolle der Nathalie und deren Entwicklung im Laufe des Stücks souverän und Anthony Curtis-Kirby scheint wie geschaffen für seine Rolle als Nathalies Freund Henry.
Das Bühnenbild (Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulus) ist sehr schlicht. Sechs rote Treppenstufen aus Metall führen schräg nach oben. Während sich die Besuche beim Arzt auf der untersten Ebene abspielen, der Verstandes-Ebene, finden andere Szenen auf höher liegenden Ebenen statt. Henry und Nathalie begegnen sich zum ersten Mal im Probenraum der Schule auf Ebene drei und finden über die Improvisation am Klavier zueinander. Gabe hält sich meistens in den höheren Bereichen der Bühne auf, aus denen er nur herunterkommt, um mit Diana zu interagieren. Es gibt kaum Requisiten. Ein roter Kühlschrank an der linken Seite bildet den Lebensmittelpunkt der Familie Goodman, das Zentrum des Hauses. Zwischen Ebene drei und vier wurde ein schmaler Bildschirm angebracht, auf dem verschiedenste Projektionen eingeblendet werden. Mithilfe dieser Bilder und der Lichttechnik werden immer neue Umgebungen und Szenerien geschaffen.
Musikalisch bietet “Next to Normal” einen Mix aus poppigem Musical, Rocknummern und – hin und wieder – Anklängen an die Country-Musik (Musik: Tom Kitt). Die live-Band unter der Leitung von Harry Ermer sitzt hinter den Stufen auf der Bühne und liefert einen hervorragenden Sound. Allerdings passiert es hier bei den Rocknummern wie etwa “Das ist doch wie im Kino”, dass die Band die Sänger übertönt und die Texte dadurch nicht mehr zu hundert Prozent beim Publikum ankommen.
Mehrling liefert gesanglich eine gute Performance ab. Während “Mein Arzt, die Psychopharmaka und ich” mit seinem Flair zwischen Walzer und Französischer Musette hervorragend zu ihrer jazzigen Chansonstimme passt, bleiben andere Nummern, wie das balladeske “Mir fehlen die Berge”, etwas blass.
Sophia Euskirchen beweist, dass sie sowohl zur Rockröhre taugt, als auch verletzlich und schwach klingen kann. Mal beltet sie die Höhen hinaus, mal haucht sie die Töne.
Anthony Curtis-Kirby hat als Henry einen kleinen Glanzmoment bei “Richtig für dich” und Felix Martin darf als Doctor Madden den Rockstar wie den einfühlsamen Arzt mimen.
Ein besonderes Augenmerk gilt allerdings Dennis Hupka, dessen klare, warme Stimme bei “Ich Lebe” ihre ganze Kraft entfalten darf und wie ein roter Faden durch das Stück führt.
Alle Stimmen im Ensemble harmonieren hervorragend miteinander und so sind es die Duette, Trios und Quartette, die besonders mitreißend wirken. Wenn Mehrling, Warnst und Hupka im zeiten Akt gemeinsam “Kein Mensch” singen, ist Gänsehaut ebenso vorprogrammiert wie bei “Superboy und seine Schwester aus Glas” bei dem sich Euskirchen als Nathalie den Frust von der Seele singt und das sich mit Hupka und Mehrling ebenfalls zum Trio mausert.
Das einzige kleine Manko des Stückes sind die deutschen Texte. Titus Hoffmann hat sich bemüht Brian Yorkeys Worte ins Deutsche zu bringen. Über weite Strecken gelingt das recht gut, ab und an holpern die Verse jedoch noch etwas.
Alles in allem bietet “Next to Normal” einen nachdenklichen, berührenden Abend voller guter Musik und exzellentem Schauspiel.
Text: Julia Weber