Gelungene Deutsche Uraufführung: “Golem” in der Neuköllner Oper

Die Geschichte um den Prager Golem ist eine alte Legende, die 1923 von Nikolae Bretan geschriebene einaktige Oper jedoch kam in Deutschland lange nicht zur Aufführung. Der zweite Weltkrieg und die Schoah kamen dazwischen. Das Stück geriet in Vergessenheit. Nun – über siebzig Jahre nach Bretans Tod – wagt sich die Neuköllner Oper an eine Inszenierung von “Golem” (Regie: Paul-Georg Dittrich): Ein gelungenes Projekt.

Gerke_Schwab (1)

Foto: Matthias Heyde

In der Geschichte vom Prager Golem erschafft Rabbi Löw einen Mann aus Lehm, nachdem ihm in einer Vision prophezeit wurde, dass dieser das Volk der Juden vor Angriffen von außen schützen werde. Der Golem ist in der Legende kein eigenständiges Wesen sondern erwacht nur zum Leben, wenn ihm ein Zettel mit dem Namen Gottes unter die Zunge geschoben wird. In einer anderen Variante der Sage trägt der Golem das Wort “Wahrheit” (Emeth) auf der Stirn, welches durch Auslöschen der ersten beiden Zeichen zu “Tod” (Meth) verkürzt werden kann, das den Golem deaktiviert.

Bretan vermischt die beiden Versionen. In seiner Oper ist der Golem (Martin Gerke) stets “aktiv”, haust in einer dunklen, ungemütlichen Zelle eher wie ein Tier als ein Mensch, weil sein Schöpfer (James Clark) ihn nicht im Haus haben möchte. Er trägt den Zettel unter der Zunge, der ihn “Das Leben schmecken” lässt. Und genau dort beginnt das Problem, denn Golem schmeckt das Leben wie ein Mensch, fühlt wie ein Mensch und sehnt sich danach ein Mensch zu sein. Der Grund dafür ist nicht zuletzt Anna (Ulrike Schwab), Rabbi Löws Enkelin. Zum einen scheint sie fasziniert von Golem, zum anderen hat sie panische Angst vor ihm, die sie in den Wahnsinn zu treiben droht. Denn die Liebe des Golems führt dazu, dass Anna nach und nach ebenfalls zu Lehm wird, ihr menschliches Leben verliert.

Immer wieder fleht Golem seinen Schöpfer Löw an, er möge einen Menschen aus ihm machen, doch dazu ist Löw nicht fähig. Am Ende entscheidet er sich, den Zettel aus Golems Mund zu nehmen, um Anna vor ihrem Schicksal zu retten.

“Golem” ist ein Kammerspiel. Die Figuren agieren auf einer zweigeteilten Bühne miteinander (Ausstattung: Pia Dederichs) . Rechts befindet sich eine etwas altmodische, aber gemütliche Wohnstube mit Blick in das dahinter liegende Schlafzimmer. Links ist Golems “Hütte”, ein Raum mit schwarzen Wänden, einer Wasserwanne in der Mitte, in die es durch eine Öffnung im Dach hereinregnet und ein Eimer Lehm in der Ecke. Das einzig “menschliche” in diesem Teil des Hauses ist das Glockenspiel, auf dem Anna und Golem im Laufe des Stückes immer wieder herumklimpern.

Die Musik Bretans (Arrangement: Tobias Schwencke) ist zum einen beeinflusst durch die klassischen Meister. Immer wieder hört man das Kopfnicken in Richtung Tchaikovsky aus seiner Komposition heraus. Aber auch traditionelle Klezmer Musik findet – insbesondere bei dem Glockenspiel-Thema – ihren Weg in seine Oper.

Über der Bühne hängen drei Bildschirme, auf denen zum einen das Geschehen auf und hinter der Bühne – so etwa Annas Suizidversuche – gezeigt werden, zum anderen aber auch eine andere, verwischte Realität, eine zweite Ebene (Video: Steffen Kraska, Mara Vlachaki). Im Laufe des Stückes steht immer wieder die Frage im Raum, welcher der Bildschirme die Wahrheit zeigt oder ob es drei Wahrheiten gibt, die nebeneinander koexistieren.

Bretans Werk ist handlungsarm und doch spannend. Er beginnt nicht mit der theatralischen Erschaffung des Golems durch Löw, mit rezitierten Formeln und Alchemie. Zu Beginn des Stückes ist eigentlich schon alles geschehen, was zum finalen Entschluss des Rabbis führen wird, seine Schöpfung zu töten. Golem hat sich bereits in Anna verliebt, hat sie sogar geküsst und kann – obwohl ihm die zerstörerische Kraft seines Tuns voll und ganz bewusst ist – nicht davon lassen an sie zu denken und ihren Namen an die Wände seiner Zelle zu schreiben. “Golem” ist das Ringen der Figuren mit ihren Dämonen. Golem ringt mit seiner Liebe und mit der Ungerechtigkeit, der einzige Golem in einer Welt voller Menschen sein zu müssen, alles zu sehen und zu fühlen aber nicht dazuzugehören. Rabbi Löw ringt mit der Entscheidung, das Werk, auf das er so stolz war, wieder zu vernichten. Und Anna ringt mit ihrer Sehnsucht nach Golem, der Sehnsucht nach dem Tod und der Angst.

Große Emotionen auf einer kleinen Bühne erfordern große Stimmen und großes Schauspiel. All das gelingt in der Inszenierung an der Neuköllner Oper. Lediglich Tenor James Clark als Rabbi Löw ist in manchen Passagen textlich nicht hundertprozentig zu verstehen, macht dies jedoch mit einfühlsamem starkem Spiel und klanglicher Qualität wett.

Sopranistin Ulrike Schwab als Anna spielt deren psychische Verfassung mit Bravour und beleuchtet alle Facetten ihrer Zerrissenheit. Lars Feistkorn als Assistent Baruch bleibt Skript-bedingt etwas blass. Unglaublich mitreißend ist jedoch Martin Gerke als Golem. Der Bariton bewegt sich mühelos durch die höchsten wie die tiefsten Passagen der Arien. Seine Stimme umschmeichelt das Ohr, wenn Golem von seiner Anna träumt und prescht im nächsten Moment in ein wütendes Crescendo, wenn er Löw zum wiederholten Mal fragt, warum dieser ihn erschaffen habe.

Das Spiel der Darsteller untereinander ist sehr intensiv. Einer der schönsten Momente der Oper ist dann auch die kurze Begegnung von Anna und Golem in dessen Zelle, bei dem sie ihm zunächst auf dem Glockenspiel vorspielt und sich aus dem Thema ein kleines aber feines Duett der beiden entwickelt.

“Golem” stellt die Frage “Was ist menschlich?” und liefert die Antwort in gewisser Weise gleich mit. Nicht der Rabbi ist es, der die Entscheidung trifft, Golem zu töten. Golem – so wird während des Stückes deutlich – wäre stark genug seinen Besitzer und dessen Gehilfen mit wenig Kraftaufwand umzubringen. Wenn also Löw seine Schöpfung am Ende zerstören kann so nur, weil Golem dies zugelassen hat. Am Ende bleibt ein Satz aus Annas letzter Arie: “Wie ein Mensch soll er begraben werden, denn er hat mich wie ein Mensch geliebt.”

Text: Julia Weber

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