Robert Louis Stevenson schrieb 1886 die Novelle „The Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde“ in Anlehnung an die wahre Geschichte des Edinburgher Kriminellen William Brodie. Seitdem gab es eine ganze Reihe von Adaptionen des Stoffes für Theater und Film. Die Musicalfassung mit der Musik von Frank Wildhorn und Texten von Leslie Bricusse gibt es seit 1990. Die erste Aufführung in der Musikalischen Komödie Leipzig (Inszenierung: Cusch Jung) liegt inzwischen auch bereits sieben Jahre zurück, was der Faszination der Geschichte jedoch keinen Abbruch tut.

Foto: Andreas Birkigt
Die Geschichte um Dr Jekyll, der in einem Selbstversuch sein Serum testet, das das Gute im Menschen vom Bösen trennen soll und dabei sein böses Alter Ego Mr Hyde erweckt, ist hinreichend bekannt.
In der Musikalischen Komödie spielt Marc Clear die Hauptrolle mit schauspielerischer Finesse. So aufrecht, freundlich und Gentlemanlike sein Dr Jekyll ist, so animalisch und ruchlos ist sein Mr Hyde. Auch stimmlich hat Clear einiges zu bieten, wenn auch bei Jekylls Hymne „Dies ist die Stunde“ ein wenig das Volumen fehlt.
Lucy Scherer als Jekylls Verlobte Lisa Carew ist klein, niedlich und süß, manchmal sogar etwas zu süß. Denn wer glaubt wirklich, dass Lisa in der tragischen Szene in der sie Jekyll in seinem verwüsteten Labor vorfindet, immer noch lächeln würde?
Jeffery Krueger als John Utterson bleibt neben seiner mehr als soliden schauspielerischen Leistung vor allem dadurch im Gedächtnis, dass seine Gesangspassagen durchweg die am besten verständlichsten sind.
Julia Lißel als Lucy Harris ist schauspielerisch wie gesanglich umwerfend. Sei es die schmissig-sexy Nummer „Schafft die Männer ran“ oder ihre zerbrechliche Darbietung in „Ein Leben“, Lißel meistert ihre Rolle mit Bravour. Insbesondere ihr Duett mit Scherer in „Nur sein Blick“ geht unter die Haut.
Das Bühnenbild ist düster gehalten, ebenso wie die viktorianisch angehauchten Kostüme, in deren Einheits-Schwarz nur ab und an mal ein Farbklecks aufblitzt (Bühne: Karin Fritz; Kostüme: Sven Bindseil). Lediglich in der „Roten Ratte“ geht es etwas bunter her, wenn sich die käuflichen Damen in ihren roten Korsetts räkeln. Ein sehr schöner Einfall ist hier auch die Aerial-Akrobatik-Einlage von Maria Kreß.
Die Chor-Nummern sind wie immer hübsch anzusehen und – wenn nicht einmal mehr die Technik streikt – auch ein echter Ohrenschmaus. Wie immer in der Musikalischen Komödie scheint es ab und an unmöglich, die Mikrofonierung und das hervorragende Live-Orchester (Musikalische Leitung: Tobias Engeli) perfekt miteinander harmonieren zu lassen, aber darüber sieht man schnell hinweg angesichts eines wirklich spielfreudigen Ensembles. Gleich zu Anfang wird das Publikum mit „Fassad’“ in die Zwei-Klassen Gesellschaft in London Ende des 19ten Jahrhunderts mitgenommen. In der „Roten Ratte“, dem Puff in dem Lucy arbeitet, geht es ganz schön heiß her, wenn dort dem Laster recht plastisch und anschaulich gefrönt wird. „Jekyll &Hyde“ ist kein Familien-Musical und so werden die Morde, die Hyde an seinen Widersachern verübt, nicht nur vollkommen ungeschönt, sondern zusätzlich in Zeitlupe dargestellt.
Es ist eben eine düstere Geschichte aus einer düsteren Epoche, die man als Zuschauer miterlebt. Im Vergleich zu anderen Inszenierungen fallen einige Änderungen auf. Wer die CD-Aufnahme aus Wien kennt, wird Jekylls Song „Die Welt ist völlig irr“ vermissen. „Mädchen der Nacht“, gewöhnlich ein Duett zwischen Puffmutter Nelly und Lucy, die von ihrem besseren Leben träumt, rückt in der Leipziger Inszenierung etwas weiter nach hinten und wird zur Totenklage Nellys über die ermordete Kollegin. Dass ein Teil des Textes dadurch nicht mehr hundertprozentig passen will und es ein wenig so wirkt als würde Nelly sich ständig selbst widersprechen, ist für Kenner wohl störender als für jene, die die anderen Fassungen noch nie gehört haben.
Wer andere Produktionen kennt, sollte sich ebenfalls bewusst sein, dass es verschiedene deutsche Textfassungen gibt. Ob man die Variante von Melitta Edith oder die in Leipzig gespielte Fassung von Susanne Dengler und Eberhard Storz bevorzugt, ist dabei sicherlich Geschmackssache. Die Frage, die sich allerdings weiterhin in allen Text-Varianten stellt ist, was „Wenn der Moment des Augenblicks in mir erwacht“ in „Dies ist die Stunde“ eigentlich bedeutet.
Alles in allem garantiert „Jekyll & Hyde“ in der Musikalischen Komödie einen schaurig-schönen Abend mit hervorragenden Darstellern und musikalischen Glanzmomenten.
Text: Julia Weber