Bewegend – „Doktor Schiwago“ in der Musikalischen Komödie Leipzig

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Zwölf Jahre nach der Broadway Premiere von „Doktor Schiwago“ kommt das Musical nach Boris Pasternaks Roman zum ersten Mal auf eine deutsche Bühne. In der Musikalischen Komödie Leipzig erlebt man Russische Revolution, Leid und Liebe mit einer großartigen Cast.

Boris Pasternaks Roman „Doktor Schiwago“ erschien bereits 1957 in Italien und erlangte schnell Bekanntheit. In der Sowjetunion hingegen dauerte es weitere 31 Jahre, bis der Roman auch dort erschien. Die Verfilmung von 1965 mit Omar Sharif und Julie Christie gewann gleich mehrere Oscars. 2002 folgte eine Fernseh-Neuverfilmung. Bald darauf, im Jahr 2006 wurde die Musical-Version des Stoffes (Buch: Michael Weller) uraufgeführt. Adaptionen in diversen anderen Ländern folgten: Nun also auch Deutschland.

In Russland herrscht Aufruhr. Am Rande des ersten Weltkriegs wird der Unmut gegen den Zaren und die Adelsfamilien des Landes immer lauter. Männer sterben, Häuser werden beschlagnahmt: Ein Bürgerkrieg der weißen gegen die rote Armee bricht aus. Vor diesem Hintergrund trifft Arzt Jurij Schiwago (Jan Ammann), aus dem Kreise seiner Familie an die Front berufen, auf die junge Aushilfskrankenschwester Lara (Lisa Habermann) – und kann sich ihrer Anziehung nicht entziehen, obwohl ihn zu Hause seine Frau Tonia (Hanna Mall) und sein Sohn erwarten.

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„Doktor Schiwago“ bringt viel Geschichte mit sich. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Lucy Simon komponierte die Musik zum Stück angelehnt an die im letzten Kapitel des Buches aufgelisteten Gedichten Jurij Schiwagos. Einflüsse von Werken ähnlich monumentalen Ausmaßes (wie etwa „Les Miserables“ oder „Eine Geschichte aus Zwei Städten“) sind nicht von der Hand zu weisen: Bombastische orchestrale Crescendi, Marsch-Rhythmen und der Chorgesang der Revoluzzer gehören wohl einfach dazu. Doch „Doktor Schiwago“ hat auch seinen ganz eigenen Grundton. Simon ließ sich beim Komponieren von Russischer Volksmusik inspirieren. Auch die Tanzszenen (Choreographie: Mirko Mahr) greifen diese Einflüsse auf, sodass der Zuschauer nie vergisst wo auf unserem Planeten er sich befindet.

Wenn dem Stück eines wirklich exzellent gelingt dann ist es, die Sinnlosigkeit des Krieges aufzuzeigen. Insbesondere die Szene im Schützengraben, die drängende Marschmusik und der traurige Tod des jungen Soldaten Janko machen betroffen und nachdenklich.

Das Bühnenbild (Karin Fritz) beschränkt sich auf einige zentrale Elemente, die effizient eingesetzt werden. Sei es der Kamin im Hause der Schiwagos, der nach dem Tod der Zarenfamilie und der Beschlagnahmung des Anwesens durch die Arbeiterbewegung in Schieflage gerät oder Strelnikows Eisenbahnwaggon, der nur durch ein von hinten angeleuchtetes Metallgerüst angedeutet wird.

Wie immer in der Musikalischen Komödie wird das Stück von einem live Orchester begleitet, was es möglich macht, dass vom Pianissimo bis zum Fortissimo stets eine gute Ausgewogenheit zwischen Sängern und Musik gegeben ist. Lediglich in einzelnen Chor-Passagen geht die Lautstärke hin und wieder auf Kosten des Textverständnisses.

Die deutsche Übersetzung der englischen Texte (Original Texte: Michael Korrie und Amy Powers) ist hervorragend gelungen. Nicht immer fügt sich die deutsche Sprache so gut in das von der Musik vorgegebene Metrum ein wie hier. Zwar reimt sich bei „Jetzt“, einem der absoluten Highlight-Songs des Stücks und ein Ohrwurm-Garant, „Herz“ auf „Schmerz“ und aus „Ashes and Tears“ werden „Tränen und Wut“ doch insgesamt ist es erfreulich, was Sabine Ruflair aus dem Libretto gezaubert hat. Schön ist auch, dass im Gegensatz zum englischen Original die erste Strophe des aus dem Kinofilm als „Lara’s Theme“ bekannten „Einst kommt der Tag“ auf Russisch gesungen wird.

Die Rollen wurden durch die Bank hervorragend besetzt. Jan Ammann kann als Jurij Schiwago die gesamte Bandbreite seines schauspielerischen Könnens unter Beweis stellen und brilliert gesanglich insbesondere in den leiseren Passagen mit auch in den Höhen noch sicherer Intonation.

Lisa Habermanns Sopran kommt solistisch besonders in „Wenn die Geige sang“ (Original: „When the music played“) voll zur Geltung, wo Lara zwischen Wut und Verletzlichkeit von ihrer Vorgeschichte erzählt. Tatsächlich hat dieses Stück und die Darstellung der Geschichte einen recht starken Aktualitätsbezug. Denn Lara sieht sich selbst nicht als Opfer eines Vergewaltigers, sondern glaubt an dem mit Viktor Komarovskij (herrlich unsympathisch: Patrick Rohbeck) Erlebten eine Mitschuld zu tragen.

Einen echten Glanzmoment hat auch Björn Christian Kuhn als Pascha/Strelnikow bei „Kommt keiner davon“ (Original „No mercy at all“). Auch schauspielerisch ist seine Leistung beachtlich. Insbesondere im Showdown gegen den angeschlagenen Jurij wird die Spannung zwischen den beiden für den Zuschauer spürbar.

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Besonders sind es die Duette, die „Doktor Schiwago“ zu einem Genuss machen. Sei es das bereits erwähnte „Jetzt“, das Jurij/Lara Duett „Sie wählt dich“ (im Original „Love finds you“) oder das Duett von Tonia und Lara im zweiten Akt, die für wahre Gänsehaut-Momente sorgen: Die Stimmen der Cast passen hervorragend zusammen und schaffen ein harmonisches Gesamtbild, das durchaus zu Tränen rühren kann. Die bei der Premiere ausliegenden Papiertaschentücher dürften dem einen oder anderen durchaus gelegen kommen.

Zwischen schmissigen Ensemble-Nummern, düsterer Marschmusik und einigem Pathos, schafft es „Doktor Schiwago“ den Zuschauer für die Dauer des Abends in seinen Bann zu ziehen. Es wird mitgelitten, mitgefiebert und zusammengezuckt wenn ein Schuss fällt. Mehr als ein Zuschauer greift irgendwann nach der Hand seines Begleiters. Stehende Ovationen am Ende der Premiere sprechen dafür: „Doktor Schiwago“ an der Musikalischen Komödie in Leipzig lohnt einen Besuch.

Text: Julia Weber

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