21.11.2014
Der Friedrichstadt-Palast in Berlin hat sich in den letzten Jahren mit immer größeren und teureren Shows mit internationalem Flair einen Namen gemacht. “The Wyld”, die jüngste Produktion unter der Regie von Manfred Thierry Mugler und Roland Welke, ist ein einziger Superlativ. Pompös, bunt und glitzernd präsentieren die Beteiligten dort eine
Mischung aus Tanz und Akrobatik, die an Las Vegas erinnert und doch immer ihren berliner Wurzeln treu bleibt.
Die Show beginnt schon während das Publikum seine Plätze im Zuschauerraum einnimmt. Der Hausmeister des Friedrichstadt-Palastes (Faycal Mihoubi) poliert noch schnell den Spiegel im Ballettprobenraum ehe sich der gesamte Kader zur täglichen Routine aus “Plier, Chassé, Grand Plier, Elevé und Pas de Basque” einfindet. Die Figur des Ballettmeisters (Siniša Petrović) ist leicht überspitzt, was schon zu ersten Lachern führt. Nach diesem Prolog wird es ernst. Die riesigen Vorhänge schließen sich über der Runden Bühne und der “Master of Ceremony”(Patrick Santos de Oliveira) betritt die Bühne, bereit, die Zuschauer durch den Abend zu führen.
“The Wyld” erzählt keine simple Geschichte deren Spannungsbogen sich durch den ganzen Abend zieht. Statt dessen reihen sich einzelne Szenen aneinander, die nach und nach ein Gesamtbild ergeben. Das Bild einer schrillen, verrückten, seltsamen Stadt und ihrer Bewohner: Ein Bild von Berlin.
Da lebt ein Mädchen ganz alleine oben auf dem Fernsehturm (Lady in the Tower Coraline Arnaud), die sich in einen jungen Mann auf einem BMX-Rad verliebt (stark, Balázs Födváry). Dort trifft sich in eine Clique Punks zum lautstarken Tap-Dance Battle, hier hält Nofretete (Claire-Louisa Paterson) im Museum Hof.
Klare Highlights des Abends sind die Herren von “White Gothic” die Akrobatik vom Feinsten bieten. Jana und JoshiPosna ernten mit ihrer Pudel-Nummer viel Applaus und einige “ach wie süß” Rufe und nonverbale Laute des Entzückens aus dem Publikum. Allerdings hat man die Kunststückchen der putzigen Vierbeiner alle vorher schon einmal gesehen.
Die Choreografien (Choreographie: Brian Friedman, Iztik Galili und weitere) sind so einfach wie effektiv. Lichteffekte, extravagante Kostüme (Kostüm: Manfred Thierry Mugler) und Synchronität der Tänzer sorgen in Nummern wie “Le Kick C’est Chic” oder “Alien Ball” für Spannung, die diesen in ihrer Essenz eher altmodischen Can Can Nummern sonst gefehlt hätte.
Claire-Louisa Paterson als Nofretete tanzt grazil, elegant und genauso “nicht von dieser Welt” wie es ihrer Rolle angemessen ist. Unter allen Tänzern sticht jedoch Patrick Santos de Oliveira als Master of Ceremony jedoch besonders hervor. Dafür sorgt einerseits das etwas gruselige Kostüm das ihn als Janus-artige Zwittergestalt erscheinen lässt, andererseits aber auch die hervorragende tänzerische Leistung, in dem recht ungewöhnlichen Outfit – das linke Bein steckt in einer Art Plastikschiene – noch mit 100 Prozent Körperbeherrschung aufzutrumpfen.
Das Bühnenbild von Jürgen Schmidt-André ist so wandelbar und vielseitig wie es drei Hebebühnen, eine Drehbühne und diverse weitere bewegliche Elemente erlauben. Die Lichttechnik (Alain Lonchampt) und die Videoinstallationen (Marc Vidal) tut ihr Übriges um die einzelnen Schauplätze vom Dach des Fernsehturms bis zum Sternenhimmel über Berlin in sekundenschnelle auftauchen und verschwinden zu lassen.
“The Wyld” ist so vielseitig wie einfallsreich. Wo sonst hätte man zuvor schon einmal einen “Pas de Trois” zwischen zwei Tänzern und einem BMX-Fahrer gesehen? Langweilig wird es an diesem Abend sicherlich niemandem. Dass der eine oder andere die zweite Hälfte der Show als etwas zu abgedreht empfinden könnte, ist möglich. Allgemein sollte man auf die Reizüberflutung gefasst machen. Alles ist bunt, vieles glitzert und dazu kommt Musik, die im Friedrichstadt-Palast tatsächlich noch live gespielt wird. Dafür verantwortlich zeigen sich die Showband, das hauseigene Streichquartett und die
Bläsertruppe unter der Leitung von Daniel Behrens, die von den Sängern Cindy Sander, Olivier Erie St. Louis, Talita Angwarmasse und Victoria Mishchenko unterstützt werden.
Die Stücke und Lieder wurden extra für die Show geschrieben (Komponisten: Daniel Behrens, Tarik Benouarka, Anja Krabbe und weitere). Zwar tauchen hier und da Assoziationen zu bekannten Melodien auf, wie beispielsweise während der Aerial Nummer des Duos Markov, deren Untermalung doch stark an den Soundtrack von “König der Löwen” erinnert, doch alles in allem ist die Musik der ganzen schrillen Atmosphäre angemessen, upbeat und mitreißend. Zwei Hauptmotive ziehen sich durch den ganzen Abend: Das fetzige “The Wyld” und der Song “Zwischen Himmel und Erde”. Letzterer ist dann auch das einzige echte Manko des Abends, klingt er doch weniger nach Avantgarde als nach Andrea Berg.
Es gibt keine echten Hauptdarsteller in der Show. Zwar tauchen das Mädchen vom Fernsehturm und ihr Freund häufiger auf, doch sie treten nie in den Vordergrund. Hauptfigur – das wird schnell klar – ist Berlin selbst. Dies wird vor allem in der an die Zeit des Chanson erinnernde Nummer „Ich bin ein Berliner“ klar, in der eine ganze Reihe schriller und weniger schriller Berliner den berühmten Satz von John F. Kennedy zitiert. Die Show ist nicht die Geschichte vom Mädchen im Fernsehturm, es ist auch nicht die
Geschichte von Nofretete und ihrer extraterrestrischen Verwandten, die am Ende des zweiten Teils plöztlich von der Decke geschwebt kommen: „The Wyld“ ist in erster Linie eine unterhaltsame Hommage an Berlin. Am Ende gibt es Standing Ovations. Eine gelungene Show geht zu Ende.
Text: Julia Weber