Giacomo Puccinis wenig bekannte Oper um die Sehnsucht nach der Liebe und deren mögliche Erfüllung wurde gegen Ende des ersten Weltkriegs zum ersten Mal aufgeführt. Die deutsche Premiere ließ bis 1927 auf sich warten. Nun gibt es das selten auf den Spielplänen zu findende Stück “La Rondine” in einer Inszenierung von Rolando Villazón an der Deutschen Oper zu sehen.
Kurtisane Magda (Dinara Alieva) führt unter der Obhut ihres reichen Verehrers Rambaldo (Stephen Bronk) ein sorgenfreies Leben. Im Hause des Bankiers geht under anderem auch der Dichter Prunier (Álvaro Zambrano) ein und aus, der mit Magdas Zofe Lisette (Alexandra Hutton) liiert ist. Er ist es, der berichtet, dass in Paris nun die romantische Liebe wieder en vogue ist. Seine Schilderung einer fiktiven jungen Frau “Doretta” weckt Magdas Aufmerksamkeit und schon bald ihre Sehnsucht, auch einmal eine solche Romanze zu erleben. Als Ruggero (Charles Castronovo), ein Freund Rambaldos, zu Besuch kommt, projeziert sie all ihre Träume auf den jungen Mann. Bei einem Ball im berühmten “Bullier” kommen sich die beiden näher, fliehen sogar gemeinsam aus Paris an die Cote d’Azur. Doch bald erkennt Magda, dass Wunschvorstellung und Realität nicht miteinander vereinbar sind.
Puccini schuf “La Rondine” als Auftragsarbeit für das Wiener Opernhaus. Das Libretto stammte von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert, die sich zum Einen auf Bewährtes aus Werken von Franz Lehár verließen, zum anderen auf Alexandre Dumas‘ „Kameliendame“ und Johann Strauss‘ „Die Fledermaus“ als Quellen zurückgriffen. Dabei sind die Grundbestandteile des Stückes so aktuell wie eh und je.
„Be careful what you wish for“ heißt es im Englischen: Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Puccinis Magda träumt von der großen Liebe, doch ihr Vorleben als Kurtisane macht es ihr unmöglich, ihrer Sehnsucht bis zum Schluss zu folgen.
Villazón personifiziert die Träume in seiner Inszenierung, lässt sie als stumme und gesichtslose Begleiter Magdas – die dieselbe Kleidung tragen wie deren geliebter Ruggero – deren Weg begleiten. Meist stehen sie Statuen gleich bewegungslos an ihrer Seite, doch in jenen Szenen, in denen ihre Sehnsucht besonders stark wird, beginnen die drei Gesichtslosen zu handeln. Im ersten Akt erwachen sie erst zögerlich aus ihrer Starre, drängen am Ende Magda jedoch dazu ins „Bullier“ zu gehen. Dort schirmen sie Magda und Ruggero während deren Tanz vom Spott der Umstehenden ab, schaffen einen Mikrokosmos, in dem die Liebe alles ist, was zählt (Choreographie: Silke Sense).
„La Rondine“ war ursprünglich während der „Belle Époque“ angesiedelt. Villazons Version spielt einige Jahrzehnte später. Kostüme und Bühnenbild (Brigitte Reiffenstuel und Johannes Leiacker) spiegeln die 20er Jahre wieder. Lediglich Magdas Kleiderwahl im zweiten Akt scheint nicht in dieses Gesamtkonzept zu passen. Wer wäre in den Goldenen Zwanzigern in einem schwarzen hoch geschlossenen, knielangen Kleid mit weißem Kragen in einen Ballsaal wie den des „Bullier“ gegangen, dessen ganze Aufmachung stark an das „Moulin Rouge“ erinnert?
Es sind Alexandra Hutton als Lisette und Álvaro Zambrano als Prunier, die der Zuschauer als erstes in sein Herz schließt. Huttons Sopran ist glasklar. Ihre Darstellung der energiegeladenen Lisette komplettiert Zambranos clownigen Prunier perfekt.
Dinara Alieva spielt Magda als eine starke, moderne Frau, der man die romantischen Träume ebenso abnimmt wie die finale Einsicht, dass diese in der Realität keinen Platz haben. Im ersten Akt wirkt ihr Schauspiel noch ein wenig hölzern. Erst im Laufe der ersten Traumsequenz während der Arie „Ore dolci e divine” findet sie sich ganz in ihre Rolle ein. Tenor Charles Castronovo ist ein glaubhafter und stimmstarker Ruggero. Besonders im dritten Akt glänzt er sowohl stimmlich als auch schauspielerisch, wenn er seiner Geliebten von dem Brief seiner Eltern berichtet und sie bittet, seine Frau zu werden. Magdas Ablehnung ist einer der wohl schönsten und gleichzeitig tragischsten Momente im Stück, wenn sie Ruggero final eine weiße Maske überstreift, ihn zu einem weiteren Gesichtslosen macht, einem weiteren Traum, einer Erinnerung.
„La Rondine“ bietet hervorragende gesangliche Leistungen aller Beteiligten, ein stimmiges Bühnenbild und eine Geschichte, die den Zuschauer ein wenig nachdenklich zurücklässt. Die Frage, ob ein Traum es wert ist, gegen alle Widerstände ausgelebt zu werden, oder ob es manchmal besser ist, zu verzichten, ist in einer Gesellschaft, die aktuell über den zunehmenden Narzissmus in ihren Reihen diskutiert, sicherlich aktueller denn je.
Text: Julia Weber