Die Komische Oper feiert den Tango. Während des diesjährigen Tangofestivals stehen nicht nur Tanzkurse und Konzerte auf dem Programm. Auch die konzertante Aufführung der Tango-Oper “María de Buenos Aires” ist ein Teil der Veranstaltung. Die Zuschauer erwartet eine Mischung aus einer mit Metaphern überfrachteten Geschichte und mitreißender Musik.
Maria de Buenos Aíres ist die einzige Oper aus der Feder von Astor Piazzolla. Die Idee dazu kam dem “Tango Nuevo” Komponisten, als er Bernsteins “West Side Story” erlebte. Das Ziel: Eine Geschichte zu schreiben, die alleine von Tangomusik getragen wird.
Während Bernstein jedoch mit “Romeo und Julia” eine universell verständliche Vorlage für sein Werk wählte, ging Piazzolla einen anderen Weg. Seine María (Julia Zenko) ist die Verkörperung des ursprünglichen Tango selbst, ihre Geschichte eine Metapher für Aufstieg und Fall dieser Musikrichtung. Das Libretto und auch die Texte sind voll von Parallelen zur Leidensgeschichte Jesu und zur Liturgie, etwa wenn eine Passage aus dem “gegrüßet seist du Maria” verändert wird zu “du bist vergessen unter den Frauen”. Tatsächlich grenzt das, was vom Erzähler El Duende (Julio Delgado) und dem Sprechchor vorgetragen wird, hin und wieder stark an Blasphemie. Die Geschichte anhand des sehr lyrisch-blumigen spanischen Erzähltextes verstehen zu wollen, ist schon schwer genug. Wer – wie die meisten Zuschauer im Saal – auf die deutschen Untertitel angewiesen ist, dürfte seine Schwierigkeiten haben. Piazzolla setzt ein Grundwissen über die Entstehung und Entwicklung des Tango und dessen Stellenwert in den Herzen der Argentinier voraus, das die wenigsten Besucher in die Vorstellung mitbringen. Wer das Stück auf dieser Ebene verstehen will, für den wird das Programmheft zur Pflichtlektüre.
Doch das Stück funktioniert auch unabhängig von seiner eigentlichen Handlung. Piazzollas Kompositionen zeigen alle Facetten des Tango. Die Energie, die “Yo soy María” und das Reprise “Milonga de l’Anunciación” versprühen, die Spannung von “Fuga y Misterio” und die Melancholie von “Poema Valseado” und “Contramilonga a la Funerala” zeigen die Vielfältigkeit dieser Musikrichtung. Bei der “Aria de los Analistas” bei der María Hilfe bei einer Gruppe von Psychoanalytikern sucht, ist zusammen mit “Balada Para un Organito Loco” ein heiterer Kontrapunkt im Stück.
Das Orchester steht während der gesamten Aufführung auf der Bühne. Allen voran Per Arne Glorvigen der durch seine Virtuosität am Bandoneon mitreißt und der zugleich als musikalischer Leiter fungiert. Auffällig ist das hervorragende Zusammenspiel des Ensembles. Die Interaktionen der Musiker untereinander zu beobachten, ist eine Freude. Es wird innerhalb kürzester Zeit klar, dass hier ein Team am Werk ist, das sichtlich Spaß bei der Sache hat. Themata werden weitergegeben, hier wird gelacht, dort eine Braue hochgezogen. Einer der musikalisch schönsten Momente ist die “Tangata del Alba” im zweiten Akt. Tänzerpaar Laura Fernández und Daniel Orellana im Vordergrund wird geleitet von den Klängen von Violine (Daniela Braun) und Cello (Christoph Lamprecht) die den weiblichen beziehungsweise männlichen Part des Tanzes wiederspiegeln. Im Laufe des Stückes kommt es immer wieder zu einer ähnlich harmonischen Interaktion zwischen Flötistin Andrea Haubold und Bandoneonspieler Glorvigen stets unterstützt von Kontrabassist Arnulf Ballhorn.
Zwei große Stimmen erzählen die Geschichte um María. Julia Zenko überzeugt mit leicht rauchiger Altstimme und lässt bei “Yo soy María” das Feuer des Tango zum ersten Mal auf das Publikum überschwappen. Daniel Armaros (El Cantor) warme tiefe Baritonstimme passt hervorragend besonders zu den langsamen, melancholischen Passagen.
Um die konzertante Aufführung etwas aufzulockern wurden Laura Fernández und Daniel Orellana mit ins Boot geholt. Das Tänzerduo “Ispasión” ist vielfach preisgekrönt. Die Perfektion der Darstellung ist einerseits wunderschön anzusehen, andererseits jedoch eine Folge genau jener Entwicklung, die Piazzolla in seinem Stück kritisiert und die mit dem “ersten Tod” Marias endet. Das Ursprüngliche des Tango, die aus dem Augenblick und aus der Musik geborene Emotion kann in einer durchgeplanten Choreographie nicht zum Ausdruck gebracht werden.
Alles in allem ist “María de Buenos Aires” ein spannendes und musikalisch anspruchsvolles Stück. Die symbolschwangere Geschichte ist sicherlich keine leichte Kost, doch die Spielfreude und Begeisterung aller Beteiligten springt unwillkürlich auf das Publikum über. So ist es dann auch kein Wunder, dass es am Ende der Vorstellung Standing Ovations gibt.
Text: Julia Weber