Von Wölfen und Menschen – “GRIMM!” in der Neuköllner Oper

Die diesjährige Musical-Produktion des Studiengangs „Musical/Show“ der Universität der Künste “GRIMM! – Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf” erzählt das Märchen vom bösen Wolf neu. Es geht um Vorurteile, Lügen und das Recht auf das eigene Happy-End.

Foto: Matthias Heyde

Oma Eule (Sophia Euskirchen) hat ihrer Enkelin vor Jahren eine Kappe aus Indien mitgebracht. Dorothea (Devi-Ananda Dahm) trägt das Ding pflichtschuldigst bis heute, was ihr den verhassten Spitznamen “Rotkäppchen” eingebracht hat. Wer will schließlich so heißen wie ein Pilz?

Das vierzehnjährige Mädchen lebt behütet im Dorf, das von allerlei Tieren bevölkert wird. Der alte Hütehund Sultan (Dennis Weißert), sein Sohn Rex (Anthony Curtis Kirby), die drei kleinen Schweinchen Dicklinde (Feline Zimmermann), Didi (Dennis Hupka) und Schweinchen Schlau (Fabian-Joubert Gallmeister) sowie die Ziege Gisela (Katharina Beatrice Hierl) mit ihren sechs (!) Kindern leben dort friedlich zusammen.

Doch Dorothea ist gelangweilt. Auf der Suche nach Abenteuern macht sie sich – trotz der Warnungen ihrer Freunde – auf den Weg in den Wald. Es kommt wie es kommen muss: Sie begegnet einem Wolf. Doch Grimm (Jan-Philipp Rekezus) macht keine Anstalten das Mädchen zu fressen, sondern freundet sich mit ihr an. Nicht wissend, dass sie ein Mensch ist, macht er keinen Hehl daraus, was er von Menschen hält. Da es ein Mensch war, der seine Eltern erschoss, ist er der festen Ansicht: Das grausamste und blutrünstigste Tier ist der Mensch. Mit „Sei ein Wolf“ führt er Dorothea in seine Welt ein.

Im Dorf sorgt Dorotheas Bericht für Aufruhr. Lediglich Dicklinde, die sich in das im Wald lebende Schweinchen Wild (Kiara Brunken) verknallt hat, ist verständnisvoll. Unterstützt von Oma Eule fasst Dorothea den Entschluss, die Vorurteile ein für alle Mal auszuräumen. Es soll Schluss sein mit den Märchen die sich um den bösen Wolf ranken und die mit der Realität rein gar nichts zu tun haben. Doch mit dieser Idee spaltet sie das Dorf in zwei Lager und beschwört gleich eine ganze Reihe Probleme herauf.

Das Bühnenbild (Ausstattung: Ulrike Reinhard) kommt sehr karg daher. Im Vordergrund liegen die Buchstaben DORF auf dem Boden, die während des Stückes zu immer neuen Konstruktionen zusammengeschoben werden. Im Hintergrund steht schwarz vor schwarz das Wort WALD, das durch geschickte Beleuchtung hervorgehoben wird. Die Kostüme von Kathy Prell sind ähnlich zurückhaltend, dabei jedoch immer individuell. Kleinigkeiten wie die Haar-Hörner von Ziege Gisela und der Knochen-Stock des alten Hofhunds Sultan runden die Erscheinung der einzelnen Figuren ab.

Wieder einmal haben Peter Lund und Thomas Zaufke ein Musical geschrieben, das aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen in eine bunte Geschichte mit fetziger Musik verpackt. Die Vorurteile, denen sich Grimm ausgesetzt sieht, bringen ihn schließlich sogar dazu, selbst an die Sichtweise der anderen zu glauben. Dorotheas Widerspruch stößt nur noch auf taube Ohren. Die Charaktere sind zwar ganz klar als Tiere ausgelegt, doch gleichzeitig finden sich auch die unterschiedlichsten menschlichen Typen unter ihnen. Dabei leben die alternativen, eher ausgeflippten Charaktere wie das wütende, selbstbewusste, punkige Schweinchen Wild oder Oma Eule mit ihrer Hippie-Philosophie im Wald, die Spießer – allen voran das stocksteife, intrigante Schweinchen Schlau – im Dorf.

Stimmlich wie schauspielerisch liefern alle Beteiligten eine hervorragende Leistung ab. Es sticht – ähnlich wie bei den letzten Produktionen der UdK – niemand besonders heraus. Das Niveau ist durchweg hoch. Musikalisch bleiben besonders einige der Haupt-Themen und Grimms Solo „Grimm“ in Erinnerung. Auch tänzerisch kann sich das junge Ensemble immer wieder beweisen. Von der klassischen Revue Nummer „Du bist nicht allein auf der Welt“ über den Walzer von Schweinchen Wild und Dicklinde „Wir haben Schwein gehabt“ bis zum Marsch „Der Wolf muss weg“ ist stilistisch alles dabei. Auch schauspielerisch kann sich die Produktion sehen lassen. Die Studenten leben ihre Rollen bis ins Detail und lassen die Charaktere vom schizophrenen Didi bis zur Dialekt sprechenden Ziege Gisela lebendig und glaubhaft werden.

Am Ende wird im Märchen alles gut. Aber da „GRIMM!“ eben die „wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf“ ist, endet die Story zwar versöhnlich, doch – zumindest für Dorothea und Grimm – alles andere als perfekt. Im finalen Stück heißt es dann jedoch: Wenn dir der Schluss nicht gefällt, schreib ihn um!

„GRIMM“ vereint eine starke Story mit fetziger Musik und einem stimmlich, tänzerisch und schauspielerisch grandiosen Ensemble. Nicht umsonst bebt am Ende der Vorstellung der Boden in der Neuköllner Oper unter dem Beifall-Trampeln der Zuschauer.

Text: Julia Weber

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