Ausgerechnet im Rathaushof des Köpenicker Rathauses wird noch bis zum Ende des Sommers “Der Hauptmann von Köpenick” als Musical aufgeführt (Regie: Heiko Stang). Die bekannte Geschichte gewinnt durch spritzige Chroreographien, mitreißende Musik und grandioses Schauspiel aller Beteiligten.
In der Schule hat wohl fast jedes Kind Carl Zuckmayers “Der Hauptmann von Köpenick” einmal durchgenommen. Die Geschichte um Wilhelm, der sich im alten Preußen eigentlich nur Pass und Aufenthaltsgenehmigung besorgen möchte, dabei jedoch an der Willkür der Behörden und der Heiligkeit des Militärs scheitert und sich letztere schließlich zu Nutze macht, um das Köpenicker Rathaus zu besetzen, beruht auf einer wahren Begebenheit. Friedrich Wilhelm Voigt gab es wirklich und die Besetzung des Rathauses ist auch keine Erfindung.
Umso großartiger ist die Idee, das auf Zuckmayers Theaterstück basierende Musical im Köpenicker Rathaushof aufzuführen, am Ort des Geschehens also. Umgeben von den roten Backsteinmauern wird das Publikum auf eine Zeitreise geschickt. Das Dach der Bühne ziert ein Bildnis des Kaisers mit Pickelhaube, hinten über den Kulissen prangt der Preußen-Adler. Die Kostüme und Uniformen sind originalgetreu der Zeit um 1900 nachempfunden (Kostüm: Antje Schrader). Vor der Veranstaltung wird das Publikum darauf hingewiesen, dass “Det Bannen der Veranstaltung auf Fotoplatten und det Mitschneiden auf Schellackplatten” untersagt ist. Willkommen in der Kaiserzeit!
Man muss den Berliner Dialekt nicht selbst sprechen können, doch wenn man alle Pointen verstehen möchte, sollte man ihn zumindest passiv beherrschen. Das gesamte Stück wird berlinert was das Zeug hält. Lediglich Hauptmann von Schlettow (Dirk Weidner) spricht ein gekünstelt wirkendes Hochdeutsch. Die Handlung folgt der des Zuckmayer Stücks und auch die Dialoge wurden diesem zum Großteil entlehnt.
Die Musik von Heiko Stang, die von einer neben der Bühne platzierten Big Band live gespielt wird, fügt sich nahtlos in dieses Grundgerüst ein. Auch hier wurde Wert darauf gelegt, die Zeitreise perfekt zu machen. Wormser’s “Haltung” ist ein typischer Militärmarsch. “Ick bin die Friederike” im Café National lässt an die Roaring Twenties denken und Wilhelms Duett mit Liesken “Die Herzen werden wieder leicht” erinnert an alte Volksweisen. In einigen Stücken, wie etwa in “Jeder Mensch braucht einen Platz” gibt es gewagte Rhythmus- und Tempi-Wechsel, die für ein Musical eher ungewöhnlich sind, jedoch für schöne Kontraste sorgen.
Die Choreographien von Doris Marlis, Michael Apel und Nini Stadlmann spiegeln die Musik wieder. So findet man schon im ersten Ensemble-Stück “Wie schön ist es im Grünen” sowohl Polkaschritte als auch eine Stepp-Einlage wieder. Schauspielerisch wie gesanglich ist die gesamte Besetzung top. Ein besonderes musikalisches Highlight ist sicherlich das Quartett “Irgendwann” am Ende des ersten Aktes. Wilhelm (Maximilian Nowka), Maria (Ina Wagler-Fendrich), Friedrich (Björn Ole Blunck) und Liesken (Juliane Maria Wolff) singen hier vierstimmig teilweise im Quodlibet wobei sich die grundverschiedenen Stimmen der Darsteller zu einem einzigen nahtlosen Klangteppich fügen.
Auch die Dynamiken zwischen den Schauspielern stimmen. Der Kontrast zwischen dem eigentlich soliden Wilhelm und seinem Hallodri-Kumpel Kalle kommt schön zur Geltung. Franz Frickel als Kalle spielt wirklich hervorragend. Seine Paradenummer “Harzer”, bei der er die Vorzüge des Käses besingt, passt dann auch in seiner gesamten Albernheit hervorragend ins Konzept der Figur und sorgt für jede Menge Lacher aus dem Publikum.
Auch Wilhelms Beziehung zu Liesken ist glaubhaft. Obwohl die beiden nur für eine einzige Szene und ein Lied alleine zusammen auf der Bühne stehen, schaffen es Nowka und Wolff die tiefe Verbundenheit der Beiden zu vermitteln.
Zuckmayers Stück hat eine Fülle von Figuren, sodass im Musical teilweise Doppel- oder Dreifachrollen entstehen. So verkörpert Juliane Maria Wolff sowohl die Plörösenmieze im Café National als auch das kleine kranke Liesken, “Friedrike” Ina Wagler-Fendrich ist zugleich Wilhelms Schwester Maria und Jesse Garon (Wabschke) und Dennis Weißert (Willy) tauchen gleich vier oder fünf mal in unterschiedlichen winzigen Nebenrollen auf.
Der Zuschauerraum wird immer wieder mitbespielt. Wenn Wilhelm Voigt in seiner Hauptmanns-Uniform zum Rathaus marschiert, nimmt er den langen Weg durch die Reihen und schnauzt in preußischer Manier einen Herren an, “Sitzen se mal gerade!”. Auch das “Extrablatt” mit den Neuigkeiten um die Besetzung des Rathauses wird vom Zeitungsjungen im Publikum verteilt. In der Rathausszene rückt außerdem einer der Balkone ins Scheinwerferlicht.
Die Komik von “Der Hauptmann von Köpenick” wird durch die Musik ebenso unterstützt wie die traurigen Momente. Lieskens Tod ist so ein Moment, der ohne großen Kitsch daherkommt und lediglich durch die instrumentale Wiederholung des Themas aus “Die Herzen werden wieder leicht” untermalt wird.
Wenn nach dem Ohrwurm-Finalstück “Der Held von Köpenick” Wilhelm noch einmal zu Wort kommt und philosophisch rät: “Lach dir nen Ast und setz dir druff und baumel mit de Beene” geht man als Zuschauer sicherlich mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause.
Text: Julia Weber