Als Michael Bellmann (Musik) und Ralf Rühmeier (Texte) vor mehr als zwei Jahren zwei Stücke mit Märchenbezug bei der schreib:maschine präsentierten, stand noch nicht fest, was aus ihrem Projekt einmal werden würde. Nach und nach reifte ein ganzer Abend voller kleiner Szenen heran, in denen sich bekannte und unbekannte Märchenfiguren auf ganz ungewohnte und frische Art präsentieren. Im The Ballery in der Nollendorfstraße wird den Zuschauern eine bunte, fröhliche und freche Show geboten.

Foto: Markus Müller-Witte
Mit von der Partie sind viele in Berlin ansässige Musicaldarsteller, Absolventen der UdK und einige Gastsänger aus der aktuellen Elisabeth-Cast, die sich auf das Experiment eingelassen haben. Der Raum ist winzig, Zuschauer und Darsteller sitzen bunt gemischt. Mikrofone gibt es nicht, ebensowenig ein Bühnenbild oder Kostüme. Alles wirkt ein wenig wie der bunte Abend bei einer Sommerfreizeit, allerdings ist das, was die Dartseller begleitet von Bellmann am Klavier hier auf die Bühne bringen Musical wie es leibt und lebt, mit allen Emotionen, allem schauspielerischen, tänzerischen und natürlich stimmlichen Anspruch.
Dabei ist den Künstlern hin und wieder das Nervenflattern anzumerken. So nah am Publikum, auf Augenhöhe, ohne Rampe, Maske und Scheinwerferlicht zu singen, verlangt auch Profis noch einiges ab.
Den Anfang macht Dorothee Kahler. Mit “Es war einmal…” lädt sie den Zuschauer ein, ihr in eine Märchenwelt zu folgen, von der die Gebrüder Grimm nur einen winzigen Bruchteil überlieferten.
In dieser Welt begegnen wir Henker Helmut (Dennis Weißert), der eigentlich viel lieber Comedian oder Schauspieler geworden wäre, dem schüchternen Bäcker Bernd (Thomas Hohler), der seinen ganzen Mut zusammen nimmt und seiner Geliebten einen Antrag macht, und dem niedlichen Schweinchen Dumm (Fabian-Joubert Gallmeister), das davon träumt fliegen zu können.
Auch die Frauen haben es nicht leicht. Betty Vermeulen mimt die Königin der Nacht mit jeder Menge Sexappeal und Jazz in der Stimme und besingt deren Plan, sich mithilfe eines kleinen, dicken aber wohlhabenden Mannes zu sanieren, nachdem ein vermeintlicher Prinz sie mittellos sitzen ließ. Rapunzel (Maike Katrin Merkel) ist Facebook- und Selfie-süchtig und König Blaubarts Liebste (Katrin Höft) hat die Kosenamen satt.
Bellmann und Rühmeier haben ein Sammelsurium an Figuren geschaffen. Manche sind liebenswert, andere sind selbstsüchtig, wie etwa Aschenputtels Mutter (Karen Helbing), die sich auf dem Sterbebett darüber freut, dass es ihr im Himmel wesentlich besser gehen wird als ihrer Tochter. Der wohl gruseligste Kerl ist der die Königin stalkende Kerkerwächter (intensiv gespielt von Michael Souschek). Die Texte sind bissig, die Musik mitreißend. Dass es keinen roten Faden, keine Story gibt, die die einzelnen Szenen miteinander vereint, macht überhaupt nichts. Gerade die Abwechslung macht “Alles Märchen! In Concert” zu einem Vergnügen. Sichtlich Spaß haben auch die beteiligten Darsteller, die sich die Figuren mit all ihren Facetten zu Eigen gemacht haben.
“Alles Märchen!” ist witzig, frisch und ungewöhnlich. Die hervorragenden Darsteller, die bissigen Texte und die mitreißende Musik machen diesen Musical-Abend zu einem echten Highlight.
Text: Julia Weber