Salieri ermordet Mozart und rechtfertigt sein Handeln vor der Welt, Gott und sich selbst damit, dass der Mann Mozart seines eigenen Genies nicht würdig sei. Freud belehrt Einstein in einem Brief, dass Erotik und Aggression die zwei Haupttriebe des Menschen seien und somit Krieg völlig unvermeidlich. Der Großinquisitor von Sevilla klagt Christus an, das Gleichgewicht der Welt gestört zu haben, indem er den Menschen die Freiheit gab, mit der sie nichts anfangen können.

Foto: Vincent Stefan
Drei Erzählstränge aus drei Epochen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich doch alle mit demselben Thema befassen: Warum greift der Mensch zu Gewalt?
In einem düster-spannenden Theaterabend verweben Annika Haller, Elisabet Stöppler, Max Renne und Jens Schroth die drei Geschichten mithilfe der Musik miteinander und so wird aus Fragmenten ein verständliches Ganzes: Bedrückend und faszinierend zugleich.
Die Bühne (Bühnenbild: Annika Haller) wirkt im ersten Moment ein wenig vollgestellt. Links ein offener Würfel, darin ein Konzertflügel, davor ein Bett. In der Mitte eine Rampe, die zum Zuschauerraum hin abfällt und auf der zu Beginn des Stückes Salieris Schreibtisch steht. Rechts eine kleine Zusatzbühne, ein Klavier, ein Gestell, an dem im Laufe des Abends immer wieder beschriftete Schiefertafeln aufgehängt werden. Hinter diesen Aufbauten wird zwischenzeitig ein Vorhang aufgezogen, der den Blick auf das Orchester freigibt.
Als Prolog fungiert Mozarts Variation über Salieris „Mio caro Adone“. Mozart (Stephan Rügamer) spielt selbst zunächst das Thema auf dem Glockenspiel, dieses wird von Max Renne am Klavier und Johannes Graner am Vibraphon aufgegriffen, dann von Adrian Heger am Flügel und schließlich kommt noch Valentin Butt am Akkordeon hinzu. Während gleich sechs Metronome vor sich hin klappern, verweben sich die Melodien der sechs Instrumente miteinander, werden zu einem fulminanten Ganzen: Das Genie Mozarts steht im Raum, gleichermaßen bewundert und verhasst von Salieri (Markus Hollop).
In Nikolai Rimsky-Korsakows Oper „Mozart und Salieri“ hadert der Italiener mit seinem Schicksal, schwankt zwischen Begeisterung für die Musik des ewig Kind gebliebenen Genies und dem Gefühl, dass Mozart selbst seines Talents nicht würdig sei. Hollops tiefer Bariton passt recht gut zu der Rolle. Allerdings tendiert er dazu, in den wütenden Passagen allzu sehr durch die Zähne zu artikulieren, was das Verständnis des Textes für den Zuschauer erschwert. Rügamers klarer Tenor bildet den Kontrapunkt zu Salieris tiefem Timbre. Schelmisch und witzig kommt dieser Mozart daher. Der Mord durch Salieri spiegelt dessen innere Zerrissenheit. Er sorgt dafür, dass Mozart den vergifteten Wein zu sich nimmt, möchte ihm im nächsten Moment Einhalt gebieten und nähert sich schließlich dem Todkranken auf zärtlich-liebevolle Weise ehe er ihn erdrosselt.
Die Geschichte um Mozart und Salieri bietet nur die Introduktion in das musikalische Abenteuer des Abends, doch es legt die Grundsteine für alle weiteren Bestandteile. So taucht Einstein (Sophie Heinrich) bereits als untalentierter blinder Fiedler auf, der in einer Kneipe „Voi Che Sapete“ heruntersägt und vor seinem Abgang die berühmte Formel zur Relativitätstheorie auf die Tafel schreibt.
In der zweiten Szene begegnen wir ihm erneut. Freud empfängt einen Brief des Wissenschaftlers in dem dieser ihn nach dem Sinn des Krieges fragt. Während Einstein gefühlvoll den zweiten Satz aus Mozarts Sonate für Violine und Klavier B-Dur (KV 378) zum Besten gibt, hackt Angela Winkler als Freud zunächst die Antwort des Psychologen mit einer alten Schreibmaschine aufs Papier um diese durch die folgenden Sätze hinweg zu verlesen. Hier taucht zum ersten Mal die Dualität von Sprache und Musik auf, die gleichzeitig Stärke und Schwäche der Inszenierung ist.
Zwar verweben sich der gelesene Text und die Musik wunderbar miteinander, doch konkurrieren sie auch um Aufmerksamkeit. Kaum einem Zuschauer wird es gelingen, beide Stränge gleichzeitig mit vollem Bewusstsein zu verfolgen. Fokussiert man sich auf die Musik so wird der Text, das gesprochene Wort Teil derselben, wird Melodie, verliert an Aussage, wenn auch nicht an Bedeutung. Richtet man das Augenmerk jedoch bewusst auf die von Freud dargebrachten Thesen, wird die Musik zur Hintergrundbeschallung. Zwischen diesen beiden Extremen schwankend lässt sich niemals ein Konsens erreichen. Dieses Problem taucht auch in der nächsten Szene erneut auf in der Fjordor Dostojewskijs „Die Brüder Karamasov“ gegen die Musik von Dmitri Schostakowitsch gesetzt ist. Insbesondere wenn Winkler als Großinquisitor gegen das Streichquartett anschreit, ist die Reizüberflutung beinahe unvermeidlich.
Im Epilog schließlich erklingt die neu komponierte „Requiem Filtrage“ von David-Robert Coleman (musikalische Leitung). Eine Aufnahme von Mozarts Requiem wird vom Orchester mit Sphärenklängen und Disharmonie überlagert. Easy Listening geht anders, doch die Spannung in dieser Abschlussszene, in der Salieri sich seiner Tat stellen muss und das Genie am Ende doch triumphiert, hält das Publikum bis zur letzten Sekunde im Bann.
Text: Julia Weber