Die Legende um Graf Dracula ist zumindest in Grundzügen beinahe jedem bekannt. Das 1897 erschienene gleichnamige Buch von Bram Stoker erfreut sich auch heute noch einiger Beliebtheit. Die Musical-Fassung von Frank Wildhorn existiert nun auch schon seit über 15 Jahren auf den internationalen und seit mehr als 10 Jahren auf diversen deutschen Bühnen. In letzter Zeit wurde das Stück zum Beispiel in Röttingen, Hildesheim und Pforzheim inszeniert. Auch die Leipziger Inszenierung an der Musikalischen Komödie geht bereits in die zweite Runde, und begeistert durch die großartigen Stimmen der Darsteller.

Foto:Tom Schulze
Das Bühnenbild ist beeindruckend in seiner Reduziertheit. Insbesondere das kreisrunde verschiebbare Element im Hintergrund, das mal durch eine sichelförmige Öffnung den Blick auf den wolkenverhangenen Himmel über Draculas Schloss freigibt, dann wieder den Hintergrund für Draculas düstere Silhouette bietet, ist eine ungewöhnliche Idee. Schwarz ist die vorherrschende Farbe. Insgesamt sind viele Szenenbilder sehr düster geraten, was allerdings zum Stück hervorragend passt.
Wildhorns Musik ist mitreißend und spannend. Das Orchester der Musikalischen Komödie (Musikalische Leitung: Christoph-Johannes Eichhorn) spielt diese mit Frische und Elan live im Orchestergraben. Schlagzeug und Band stehen hinter einer Plexiglasscheibe. In einigen der rockigen Passagen wirkt die E-Gitarre dadurch etwas zu stark gedämpft. Der Klang ist ansonsten meist hervorragend, lediglich in den Passagen, wo es schneller, hektischer wird, kommt es ab und an dazu, dass die Texte nicht mehr deutlich zu verstehen sind.
Wer die CD-Fassung aus Graz mit dem Libretto von Herwig Thelen kennt, dem werden die Texte zunächst seltsam erscheinen. In der Musikalischen Komödie wird jedoch – wie bei so gut wie allen deutschen Inszenierungen – die weniger poetische Übersetzung von Roman Hinze verwendet, die bereits für die Erstaufführung in St. Gallen verfasst wurde.
Die Kostüme sind an die Mode der dreißiger und vierziger Jahre angelehnt, was der ganzen Handlung einen von Stokers Original abweichenden historischen Kontext verleiht. Requisiten werden nur sparsam eingesetzt. Ein Bett hier, einige Stühle da. In der Zugsequenz fungieren die Koffer der Reisenden als die Sitzmöbel im Abteil.
Die Darstellung des Vampirfürsten ist stets eine Herausforderung. In Stokers Original ist der Graf stellenweise als kaum mehr menschlich beschrieben. Dort ist von roten Augen die Rede und gleich zu Anfang wird beschrieben, wie er sich kopfüber, einer Fledermaus gleich die Schlossmauern hinunter bewegt. Die Musical-Fassung legt jedoch eine höhere Gewichtung auf die Parallelen zwischen Draculas ursprünglicher Liebe Eliza und deren Ebenbild Mina, die das Handeln des Untoten in einen sehr menschlichen Kontext stellen. Wie also interpretiert man diese Rolle? Unterschiedliche Inszenierungen sind hier unterschiedliche Wege gegangen. In Leipzig erscheint der Vampirfürst nun als leicht machohafter, manchmal schmieriger Verführer. Der Zusammenhang zu Eliza wird zwar im zu Anfang auf dem Leinwand-Vorhang eingeblendet, doch spielerisch ist nur schwer zu erkennen, dass hinter Draculas Besessenheit von Mina Harker mehr steckt als pure Gier.
Der große Pluspunkt der Leipziger Inszenierung ist eindeutig der Gesang. Es ist kaum möglich hier herausragende Stimmen zu nennen, da die gesamte Besetzung durch die Bank eine grandiose Leistung abliefert. Sei es Hinrich Horn als Van Helsing, der im gefühlvollen, herzzerreißenden „Roseanne“ mit weichem, rundem Bariton sein Können beweist oder Lisa Habermann als Mina, die mit kraftvollem Sopran scheinbar mühelos auch die komplexesten Passagen meistert und dabei gänzlich auf aufgesetztes Vibrato verzichtet. Für Jeffery Krueger als Jonathan ist wohl „Jonathan’s Versprechen“ seine Glanzstunde des Abends. Auch Anna Preckeler (Lucy Westenra) steht ihren Kollegen in nichts nach. Besonders „Wie wählt man aus“, in dem sich Habermanns und Preckelers Stimme wunderbar ergänzen und „Nebel und Nacht“ bleiben hier im Gedächtnis.
Bemerkenswert sowohl in gesanglicher als auch in schauspielerischer Hinsicht ist auch Sabine Töpfer in der Hosenrolle als pummeliger Renfield, der bei „Das Lied vom Meister“ über Tisch und Stühle seiner Zelle tanzt. Unweigerlich entwickelt der Zuschauer eine gewisse Sympathie für den geistig verwirrten Diener Draculas.
Andreas Wolfram als Dracula zeigt in einigen Passagen, so etwa gleich zu Beginn bei „Ich bin mir selbst genug“ die ganze Bandbreite und Kraft seiner Stimme. In einigen anderen Nummern, so etwa bei „Leb‘ noch einmal“ und „Je länger ich lebe“ wirkt seine Melodieführung hin und wieder an den Phrasenenden etwas verknappt.
Draculas Verjüngung ist etwas blass geraten und wird lediglich durch das Ablegen eines riesigen Pelzmantels symbolisiert. Immerhin wurde hier jedoch nicht wie bei vorangegangenen Inszenierungen zur Latexmaske gegriffen. Die in „Zu Ende“ überall im Publikum, auf den Balkonen und an verschiedenen Stellen der Bühne auftauchenden Draculas sind eine nette Überraschung. Inszenatorisch äußerst gelungen sind auch jene Szenen, in denen mehrere Figuren, die sich an unterschiedlichen Orten befinden, gemeinsam singen. So bewegen sich Jonathan und Mina während „Whitby Bay“ auf zwei unterschiedlichen Ebenen der Bühne, durch einen halb durchsichtigen Vorhang getrennt. Durch kleine Gesten wird hier geschickt die innere Verbundenheit der beiden dargestellt ohne in den Kitsch abzudriften. Im Trio „Ein Lebenstraum“ stehen Jonathan und Mina vorne an der Rampe, während Dracula mittig zwischen Ihnen das „Ich lebe nur weil es dich gibt“ singt. Symbolisch beginnt hier die Dreiecksgeschichte, in deren Verlauf sich Mina immer weiter dem Vampirfürsten annähert.
Insgesamt erwartet den Zuschauer bei „Dracula“ ein Abend voller mitreißender Songs und einer spannenden Geschichte, dargeboten von hervorragenden Sängern und Darstellern. Der Besuch lohnt sich.
Text: Julia Weber