1999 war „Disneys Der Glöckner von Notre Dame“ das erste Disney Musical, das außerhalb der USA seine Premiere feierte: Im Theater am Potsdamer Platz. Nun kehrt die klassische Geschichte um Zigeunerin Esmeralda und ihre drei unterschiedlichen Verehrer Erzdiakon Frollo, Glöckner Quasimodo und Hauptmann Phoebus zurück nach Berlin ins Theater des Westens und begeistert mit neuem Bühnenbild, neuen Songs und einer Story, die sich weit stärker an der Romanvorlage als am Disney Zeichentrickfilm orientiert.

Foto: Johan Persson
Schon während der Anfangssequenz, in der der vierundzwanzigköpfige Chor die Vorgeschichte Frollos und Quasimodos beleuchtet, fühlt sich der Zuschauer unweigerlich ins Frankreich des fünfzehnten Jahrhunderts hineinversetzt. Das Bühnenbild, bestehend aus einem hölzernen Gerüst und der bunten Rosette von Notre Dame, ist ein wahrer Hingucker. Geschickte Lichteffekte und wenige Variationen sorgen hier für die nötigen Szenenwechsel. Da senken sich die gigantischen Glocken aus dem Seilboden herab, werden Balkongeländer verschoben und – im Versteck der Zigeuner – bunte Tücher aufgespannt.
Von 1999 bis 2002 wurde „Disneys Der Glöckner von Notre Dame“ (Musik: Alan Menken“, Text: Stephen Schwartz; Übersetzung: Michael Kunze) im Theater am Potsdamer Platz aufgeführt. Tatsächlich war dies die Welturaufführung des Stückes. Die Broadway Premiere erfolgte erst im Jahr 2014 unter Verwendung des Skriptes von Peter Parnell. Diese überarbeitete Fassung bietet mehr Bezüge zum Roman von Victor Hugo sowie einige neue Songs, die erneut aus Alan Menkens Feder stammen.
Die Musik ist pompös, Blechbläser-lastig und der Großteil des Orchesters wurde in der aktuellen Produktion leider durch Keyboards ersetzt. Eine Entscheidung mit Folgen: In den lauteren, pompöseren Teilen der Komposition, wie etwa bei Frollos „Das Feuer der Hölle“ oder den Final-Songs, ließe sich die Dynamik eines echten Orchesters feiner beherrschen und situationsgemäß anpassen, als es mit dem elektronischen Ersatz und den heutigen technischen Mitteln möglich zu sein scheint. Tatsache ist, dass diese Passagen nur noch als laute Wand aus Schall daherkommen, in der das Textverständnis zur Gänze flöten geht und die Stimmen der Protagonisten trotz ihrer sonstigen Präsenz keine Chance mehr haben, aus dem musikalischen Lärm-Brei hervorzustechen.
Um sich vom hervorragenden Chor abzuheben, der in „Disneys Der Glöckner von Notre Dame“ beinahe dauerpräsent ist und die Handlung vorantreibt, müssen die Solisten einiges an Stimmgewalt mitbringen.
David Jakobs als Quasimodo begeistert von der ersten bis zur letzten Minute. Sowohl schauspielerisch als auch gesanglich lässt seine Leistung nichts zu wünschen übrig. Jakobs Stimme bewegt sich mühelos von den Tiefen ins Falsett und seine Darstellung des taubstummen Quasimodo ist absolut glaubhaft.
Frollo (Felix Martin) beherrscht mit gebieterischem Ton und starkem Bariton die Bühne, wirkt jedoch schauspielerisch hin und wieder etwas hölzern.
Hauptmann Phoebus ist schon im Buch eine der schwächeren Figuren. Dass er trotzdem nicht komplett untergeht, ist Maximilian Manns gutem Spiel und Gesang zuzuschreiben.
Sarah Bowden als Esmeralda schwächelt leider gesanglich gewaltig. Melodieführung und Phrasierung sind perfekt, allerdings wirkt ihre Stimme oft flach und hin und wieder etwas näselnd. Gerade in den Duetten mit Phoebus oder Quasimodo fällt dies negativ ins Gewicht, da es an der notwendigen Stimmharmonie fehlt um den erhofften Gänsehauteffekt zu erzielen. Auch die Figur der Esmeralda ist nicht ganz schlüssig angelegt. In ihrer ersten Szene erscheint sie als lasziv tanzende Verführerin, die sich ihrer Wirkung durchaus bewusst ist und ihren Körper gezielt einsetzt, um die männlichen Zuschauer in den Wahnsinn zu treiben. Ihre spätere Verteidigung gegenüber Frollo wirkt daher nicht eben überzeugend. Auch steht ihr gesamtes weiteres Verhalten gegenüber den drei sie begehrenden Männern im Kontrast zu diesem ersten Auftritt.
Während dieser inszenatorische Patzer nicht der einzige bleibt (Quasimodo versteht Frollo grundsätzlich auch wenn er ihn gar nicht anschaut – was im Rahmen der ansonsten taubstummen Darstellung der Rolle keinen Sinn ergibt), sind es die positiven Regie-Entscheidungen die im Gedächtnis bleiben. So verwandeln sich die Wasserspeier durch Ablegen ihrer grauen Kutten in Dorfbewohner oder Zigeuner. Die Erzählweise, bei der die Figuren teilweise in der dritten Person von ihren Handlungen berichten, ist zunächst gewöhnungsbedürftig, bringt aber mit sich, dass man tiefere Einblicke in die Gedanken der einzelnen Protagonisten erhält.
Insgesamt hat „Disneys Der Glöckner von Notre Dame“ nur noch sehr wenig mit dem Disney Film von 1996 zu tun, allerdings erfreulich viel mit dem Originalroman von Victor Hugo. Düster, erwachsen und dramatisch zieht das Stück das Publikum in den Bann.
Text: Julia Weber