01.12.2013
In der Komischen Oper Berlin kommt die „West Side Story“ in der Inszenierung von Barrie Kosky und Otto Pichler düsterer daher als gewöhnlich, überrascht durch Neuerungen und bleibt doch dem Original nichts schuldig.
Am Anfang war das Licht. Es fällt von hinten auf die Szene, während sich langsam der Vorhang hebt und lässt Riff, den Anführer der Jets, der in irgendeiner Stadt in irgendeiner Straße Basketball spielt zunächst nur als Silhouette erscheinen. Dieser Effekt zieht sich durch das gesamte Stück und lässt die Tänzer und Darsteller immer wieder zu gestaltlosen bizarren Schatten werden. Barrie Koskys Bühnenbild und die Kostüme von Esther Bialas entführen den Zuschauer nicht ins New York der fünfziger Jahre sondern ins hier und jetzt. In eine Stadt, die über große Strecken des Stücks nur durch eine Ziegelmauer im Hintergrund greifbar wird. In der Balkonszene schwebt der Balkon vor dem angedeuteten Sternenhimmel in der Luft, die Autobahnbrücke wird durch einen metallenen Brückenpfeiler angedeutet und in der Turnhalle hängen verschieden dicke Discokugeln von der Decke. Alles ist etwas düsterer und farbloser als in der bekannten Broadway Fassung. Die Jets laufen in Sporthosen und Kapuzenjacken herum, die nackten Oberkörper der Sharks sind mit Tätowierungen bedeckt. Die vorherrschende Farbe: Schwarz.
So trägt dann auch Maria beim Ball in der Turnhalle ein klassisches kleines Schwarzes. Mit Julia Giebel ist die Rolle gewagt besetzt. Eine Maria mit kurzen blonden Haaren, die neben den rassigen Schönheiten wie ihrer Schwägerin Anita unwillkürlich wie ein hässliches Entlein wirken muss – kann das funktionieren? Es funktioniert sogar hervorragend und das nicht nur, weil die klassisch ausgebildete Giebel stimmlich hervorragend auch in den Höhen noch brilliert ohne, dass sie angestrengt wirkt,
sondern auch, weil man einer solchen Maria viel eher abnimmt, dass sie sich bei „I feel pretty“ zum ersten mal wirklich schön findet.
Als Tony steht Tansel Akzeybek seiner Kollegin in nichts nach. Bereits bei „Something’s Coming“ kommt das Publikum in den Genuss der gesamten Bandbreite des Tenors, der sich auch in den tieferen Passagen nicht quält und dessen Stärke darin liegt, auch im Piano noch abgerundete, voll klingende Töne zu singen statt diese mit viel Luft auszuhauchen.
Die Stimmen der beiden Protagonisten ergänzen sich in den Duetten „Tonight“ und „Somewhere“ sehr gut, doch auch wenn Akzeybek und Giebel beide stark spielen und noch stärker singen, nimmt man ihnen das frisch verliebte Pärchen nicht vollständig ab. Der Funke springt nicht über, was besonders am Ende des Stücks ein wenig schade ist.
In den Reihen der Jets wie in den Reihen der Sharks gibt es die unterschiedlichsten Nationalitäten. Amerika wird zur Metapher für das Land – egal welches – in das die Einwanderer – egal welcher Nationalität – kommen. Der Konflikt als solcher ist wichtig, nicht so sehr die Zeit und der Ort des Geschehens. Diese Loslösung von der „klassischen“ Idee gelingt meistens, wenn auch nicht immer. So bleiben die Mädchen bei den Jets durchgehend blond und europäisch, während die Frauen der Sharks durchweg dunkelhaarig und exotisch sind.
Wie modernisiert man ein Stück, das so bekannt ist, wie die „West Side Story“? Was die Musik anbelangt, lautet die Antwort: Gar nicht. Aus dem Orchestergraben klingt die Originalorchestrierung mit – unter anderem – 3 Flöen, 3 Trompeten, 14 Geigen und 4 Celli, die sicher und spritzig die bekannten Melodien interpretieren. Die Komische Oper bietet die richtige Akustik für ein solch großes Orchester und so kommen sogar die leisesten Klänge noch zur Geltung. Auch bei der Sprache hat glücklicherweise niemand den Versuch unternommen, die Lieder „einzudeutschen“ und so gehen deutsche Sprechtexte in englischen Gesang über. Koen Schoots, dem musikalischen Leiter, ist es zu verdanken, dass keinerlei Kürzungen im Stück vorgenommen wurden. Die sonst oft gestrichene Traumund Albtraumsequenz vor Beginn von „Somewhere“ wird komplett gespielt und bietet einen der echten Gänsehautmomente des Abends.
Während in der Musik keine Kompromisse eingegangen werden, hat Otto Pichler die Choreographie vorsichtig modernisiert. Es finden sich ganze Passagen beispielsweise beim „Mambo“, bei „Cool“ und im „Jet Song“, die beinahe eins zu eins aus der Originalchoreographie von Jerome Robbins entliehen sind. An anderen Stellen – beispielsweise bei „I like to be in America“ – wird experimentiert, werden Elemente aus Hip Hop, Modern Dance und Martial Arts in die Tänze eingeflochten. Die Darsteller
meistern diese Mischung problemlos, sodass es eine Freude ist zuzuschauen.
Besonders erwähnt werden muss an dieser Stelle Daniel Therrien als Riff, der in seiner Rolle ganz aufgeht und dem Bandenführer ein starkes und äußerst sympathisches Profil verleiht und damit zum Publikumsliebling avanciert. Therrien glänzt jedoch nicht nur schauspielerisch sondern vollbringt auch gesanglich und tänzerisch Meisterleistungen – letzteres gern auch simultan, wenn er beim Jet Song einen Handstand an einer der die Bühne begrenzenden Leitern macht und gleichzeitig den Schlusston ohne einen Wackler bis zuletzt aushält.
In der Komischen Oper erwartet den Zuschauer also eine West Side Story, die ungewöhnlich und etwas düsterer und erwachsener daherkommt als man es vom Broadway gewohnt ist, die aber auf jeden Fall Spaß macht und exzellent unterhält.
Text: Julia Weber