Choreograph Nacho Duato bringt seine avantgardistische Bach-Hommage, die 1999 in Weimar uraufgeführt wurde, nach Berlin. Die Zuschauer erwartet eine Verschmelzung von Tanz und Musik, die Ihresgleichen sucht.
Der erste Eindruck ist: schwarz. Die Bühne (Jaffar Chalabi) ist kahl. Im Hintergrund sieht man schwarze, sich während der Vorstellung immer wieder zusammen- und entfaltende Platten. Hinter diesen Platten führen Rampen nach oben. Auf dieser Hinterbühne sieht man im Lauf des Stücks hin und wieder Bach auf und ab gehen. Am Ende des ersten Aktes wandelt er dort auch in Begleitung einer seiner Liebsten nach oben.
Die Kostüme (Nacho Duato, Ismael Aznar) des Ensembles sind ebenso schlicht wie die Bühne. Mit Ausnahme von zwei oder drei Stücken, in denen auch an den barocken Kleidungsstil angelehnte bunte Kleider und Westen zum Einsatz kommen, und das mangentarote Futter der langen Gehröcke im zweiten Akt trägt das gesamte Ensemble eng anliegende schwarze Kleidung.
Im Kontrast dazu ist Bach (Michael Banzhaf) immer in voller Barock-Montur zu sehen. Von der gepuderten Perücke über den Justaucorps bis hin zu den Schnallenschuhen passt hier alles ins 18te Jahrhundert. Auch Solistin Weronika Frodyma als der Tod sticht heraus. Obwohl auch ihre Garderobe sich ins Einheits-Schwarz einfügt, wird sie durch den weiten Rock und die weiße Halbmaske individualisiert.
Im ersten Akt bietet das Ensemble eine Reise durch Bachs Lebenswerk. Die Goldberg-Variationen sind hier ebenso vertreten wie einige Orgelkonzerte und die Brandenburgischen Konzerte. Dabei wird jedes Thema zu einer Bewegungsabfolge. Choreographie und Melodie sind eins. Immer wieder kommt es zu Gegenüberstellungen des Einzelnen und der Masse. Ensemble-Tanzszenen wie etwa die Szene in der Bach ein “Orchester” aus Tänzern dirigiert, wechseln sich mit Solo-Tänzen und Pas de deux ab.
Bemerkenswert ist hier zum Beispiel der Pas de deux zur Cello Suite Nummer 1, bei der Bach auf einer Tänzerin wie auf einem Instrument spielt. Diese ist zunächst eher widerwillig, doch nach einigem Ringen endet diese Sequenz in Harmonie.
Anders die Szenen zwischen Bach und dem Tod: Während der Komponist sonst stets die Oberhand zu haben scheint, ist er hier unterlegen.
Die Todessymbolik taucht im zweiten Akt, der auf der Kunst der Fuge basiert, verstärkt auf. Mystisch, wehmütig und wesentlich düsterer als der erste Akt ist hier auch die Choreographie. Der humorige Pas de deux der zwei Herren in ovalen Paniers – ohne entsprechende Röcke darüber – aus dem ersten Teil scheint weit in der Vergangenheit zu liegen. Dem Tod gelingt es dann auch, Bach zunächst seine Muse (Giuliana Bottino) zu rauben und ihn in Verzweiflung zu stürzen, bevor sie ihn schließlich mit sich nimmt.
Die Musik kommt vom Band, was etwas schade ist. In Anbetracht der Tatsache, dass man neben einem kompletten Sinfonieorchester auch einen Chor und eine Orgel gebraucht hätte, um alle ausgewählten Stücke umzusetzen, ist die Entscheidung gegen live Musik allerdings nachvollziehbar.
Duato lässt die Tänzer zu Instrumenten werden. In manchen Bewegungen erkennt man Harfen oder Streichinstrumente wieder. In einer Szene spielt ein Tänzer auf seiner Partnerin als Cembalo, klappt sie dann zusammen als schlage er den Klavierdeckel zu und trägt sie von der Bühne – was für allgemeine Erheiterung im Publikum sorgt.
Immer wieder sieht man Ballett-untypische geflexte Füße und geknickte Knie, die den Körpern der Tänzer ein wenig die Form von Noten geben. Hier wird mit Violinbögen gefochten, dort entsteht eine Fuge, indem analog zur Musik eine Tänzerin mit einer bestimmten Bewegungsabfolge beginnt, die von anderen versetzt aufgegriffen und immer wieder leicht abgewandelt wird. Akrobatik- und Modern-Elemente runden das Ganze ab.
Wenn einzelne Ensemblemitglieder in Pas de deux oder Trios miteinander interagieren, spürt man Begeisterung, mit denen die Tänzer bei der Sache sind. Die spannende Mischung aus ungewöhnlichen Choreographie-Einfällen und Bachs unsterblicher Musik sprüht vor Energie und Kraft.
“Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere” bietet die absolute Verschmelzung von Tanz und Musik. Dabei wird es niemals langatmig, immer wieder gibt es für den Zuschauer Neues zu entdecken. Duatos Ziel ist, dass das Publikum mit den Augen hören und mit den Ohren sehen lernen soll und genau dies geschieht an diesem Abend, der Genuss mit allen Sinnen möglich macht.
Text: Julia Weber