Ambitioniert – Norwegisches Nationalballett mit „Ghosts“ in der Komischen Oper

Henrik Ibsens „Gespenster“ ist ein extrem dialoglastiges Stück. Familie Alving wird in der Tragödie von den Schatten der Vergangenheit eingeholt und stellt fest, dass das Schweigen schwerwiegende und schreckliche Folgen haben kann. Das Norwegische Nationalballett hat sich unter der Regie von Marit Moum Aune daran gewagt, den Stoff als reines Tanzstück auf die Bühne zu bringen. Herausgekommen ist ein bedrückendes, düsteres, spannendes, manchmal undurchsichtiges Stück Ballett. Am siebten und achten April war „Ghosts“ in der Komischen Oper zu sehen.

GHOST -IBSEN GENGANGERE 2014

Foto: Erik Berg

Helene Alving lebt seit dem Tod ihres Mannes vor 10 Jahren alleine. Lediglich das Hausmädchen Regine leistet ihr Gesellschaft. Auch Pfarrer Manders hat ein offenes Ohr für die Witwe. Diese berichtet ihm von all den Fehltritten ihres Gatten und beichtet ihm, dass Regine eine uneheliche Tochter von Kapitän Alving ist. Als der todkranke Sohn Osvald nach Hause zurückkehrt und sich Hals über Kopf in Regine verliebt, stürzt das Lügengebäude um die Familie ein.

„Gespenster“ tänzerisch darzustellen gleicht ein wenig der Quadratur des Kreises. Die Figuren sprechen viel über die Vergangenheit. Der aktuelle Konflikt ist tief verwurzelt im Damals. In „Ghosts“ wird dies dadurch gelöst, dass die Geister der Vergangenheit ebenfalls auf der Bühne stehen. Meist agieren sie im Hintergrund im durch zwei Ebenen angedeuteten Anwesen der Alwings (Bühnenbild: Even Barsum), doch je weiter das Stück voranschreitet, desto mehr treten sie mit in den Vordergrund.

Eines schafft „Ghosts“ von der ersten bis zur letzten Sekunde: Die Darstellung der Beziehungen der einzelnen agierenden Figuren zueinander darzustellen und spürbar zu machen. Dabei ist die tänzerische Leistung aller Beteiligten hervorragend. Die Choreographie von Cina Espejord bewegt sich fernab des klassischen Ballets. Die Bewegungen sind getanzte Emotion. Von dem ruppigen Umgang den Zimmermann Engstrand (Kristian Alm) mit seiner vermeintlichen Tochter Regine (kindlich und unbedarft – Grete Sofie B. Nybakken) pflegt über das Vertrauen zwischen Frau Alving (Camilla Spidsøe) und dem Pfarrer (Ole Willy Falkhaugen) bis hin zur frischen und ungestümen Liebe von Osvald (Andreas Heise) und Regine wird für das Publikum alle Trauer, alle Freude spürbar.

Im Vorspann wird in einem Video (Odd Reinhart Nicolaisen) das Setting des Stücks in Norwegisch, Englisch und Deutsch dargestellt: Ein Haus am Fjord mit einem Wintergarten. Spätestens nach den ersten zehn Minuten sind alle Assoziationen mit dem letzten Skandinavien-Urlaub allerdings verflogen.

Auch die Musik von Nils Petter Molvær trägt einiges zur düsteren Atmosphäre von „Ghosts“ bei. Molværs solistisches Trompetenspiel wird von Jan Bang am Sampler unterstützt und erschafft ein Gefühl der Einsamkeit und Angst.

Wer Ibsens Stück nicht kennt, wird nicht den gesamten Inhalt des Stückes erfassen. So kommt die Erklärung, dass Osvald und Regine Halbgeschwister sind – ein wirklich zentrales und wichtiges Element des Dramas – sehr metaphorisch verschleiert daher und ist ohne Vorwissen kaum verständlich. Aus der Interaktion der beiden „Kinder Geister“ (Selma Smith Kvalaag und Mikkel Skretting) ließe sich auch folgern, dass sich die Beiden eben in jungen Jahren kannten.

Klarer wird die Tatsache, dass Osvald todkrank ist und seine Krankheit vom umtriebigen Vater geerbt hat. Ballett ist jedoch eine stumme Kunstform. Auch „Ghosts“ bleibt über weite Strecken dieser Tradition treu. Die gezielt eingesetzten Schreie von Osvald und das überzogene Schluchzen von Frau Alving am Ende wirken fehl am Platze.

Alles in Allem bietet „Ghosts“ eine wirklich erstklassige Choreographie mit technisch wie emotional starkem Ensemble. Vorwissen über die „Gespenster“ ist von Vorteil, wenn man die Handlung zur Gänze verstehen möchte. Genießen kann man dieses stark getanzte Stück jedoch auf jeden Fall.

Text: Julia Weber

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